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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
Autoren: Karin Fossum
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Dachten denn alle dasselbe wie sie? Sie verließ die Kneipe und fuhr nach Hause, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von achtundsechzig Stundenkilometern. Eine rote Lampe leuchtete am Armaturenbrett auf. Sie durfte nicht vergessen, Karsten Bescheid zu sagen.
     

GUNDER SCHWITZTE,
    aber das spielte keine Rolle. Sein Hemd war naß, aber das war ihm egal. Er saß ganz still an seinem Tisch und beobachtete die indische Frau. Sie war schnell und leichtfüßig und lächelte so freundlich. Um die Taille trug sie einen Gürtel mit einer Tasche, wie auch er einen hatte, darin bewahrte sie das Wechselgeld auf. Sie trug ein geblümtes ärmelloses Kleid und goldene Ohrringe. Ihre langen blauschwarzen Haare waren zu einem Zopf geflochten und im Nacken hochgesteckt. Er überlegte, wie lang die Haare wohl sein könnten. Vielleicht reichten sie ihr bis zum Gesäß. Sie war jünger als er, vierzig vielleicht, und ihr Gesicht war von der Sonne gezeichnet. Wenn sie lächelte, waren ihre Zähne zu sehen. Oben standen sie ein Stück vor. Aus Eitelkeit versuchte sie oft, ihr Lächeln zu unterdrücken, aber das gelang ihr nicht. Sie lächelte einfach zu gern. Mit geschlossenem Mund ist sie schön, dachte Gunder, und die Zähne können korrigiert werden. Während er sie über seinem seltsamen, mit Zimt gewürzten exotischen Kaffee betrachtete, merkte er, daß sie das wußte, und daß es ihr vielleicht sogar gefiel. Seit sechs Tagen aß er nun schon in diesem Restaurant. Und jedesmal hatte sie ihn bedient. Er hätte gern mit ihr gesprochen, hatte aber Angst, etwas falsch zu machen. Vielleicht durfte sie nicht mit den Gästen reden. Daß er die Gesetze dieses Landes nicht kannte, machte ihm zu schaffen. Er konnte nicht einmal bis Feierabend bleiben und sie dann nach Hause bringen. O nein, das ging doch nicht. Er hob die Hand. Sofort stand sie vor ihm.
    »One more coffee«, sagte Gunder nervös. Etwas rückte näher. Die Spannung ließ sein Gesicht ernst werden, und das merkte sie. Sie nickte stumm und holte den Kaffee. War gleich wieder da.
    »Very good coffee«, sagte er und hielt sie mit seinem blauen Blick fest. Deshalb blieb sie stehen.
    »My name is Gunder«, sagte er schließlich. »From Norway.«
    Sie zeigte ihm ihr strahlendes Lächeln. Und ihre großen Zähne.
    »Ah! From Norway. Ice and snow.« Sie lachte.
    Er lachte auch und dachte, daß sie sicher einen Mann und ein ganzes Schock Kinder hatte. Und alte, hilfsbedürftige Eltern. Daß sie ihm nie im Leben irgendwohin folgen würde. Plötzlich war er traurig. Aber sie stand noch immer vor ihm.
    »Have you seen the city?« fragte sie.
    Er starrte verlegen den Tisch an. Seit Tagen schlenderte er nun schon ziellos umher und sah sich die Menschen an. Überall wimmelte es nur so von denen. Sie schliefen auf der Straße, aßen auf der Straße, verkauften ihre Waren auf der Straße. Die Straßen waren Markt, Spielplatz, Treffpunkt, sie waren alles, nur keine Verkehrswege. Er hatte keine Sehenswürdigkeiten besichtigt. Er hatte nur nach ihr gesucht.
    »No«, gab er zu. »Only people. Very beautiful people«, fügte er hinzu.
    Sie wurde rot und blickte zu Boden. Sie schien noch mehr zu erwarten. Sie ging nicht in die Küche, sondern machte sich weiter an seinem Tisch zu schaffen. Gunder faßte Mut. Er geriet inzwischen in Zeitnot, Verzweiflung drohte, und außerdem war er weit von zu Hause. Dazu kamen die ungeheure Hitze und das Gefühl von Unwirklichkeit. Und sein eigentliches Vorhaben. Er schaute in die schwarzen Augen und sagte: »I came to find a wife.«
    Sie lachte nicht. Sie nickte nur langsam, als habe sie alles verstanden. Daß er immer wieder zurückkehrte. In dieses Lokal. Zu ihr. Sein Blick war ihr aufgefallen, und sie hatte an ihn gedacht, an diesen Berg von Mann mit seinen blauen Augen. An die Ruhe, die er ausstrahlte. Seine Würde. Die so fremd und anders war. Sie hatte sich gefragt, was er wohl wollte. Er war offenbar ein Tourist und doch keiner.
    »I show you the city?« fragte sie vorsichtig. Sie lächelte jetzt nicht, und ihre vorstehenden Zähne waren deshalb nicht zu sehen.
    »Yes. Please! I wait here«, sagte er und klopfte auf die Tischplatte. »You work. I wait here.«
    Sie nickte, blieb aber noch einen Moment stehen. Es war ganz still. Nur leises Stimmengewirr von den anderen Tischen war zu hören.
    »Mira nam Poona he«, sagte sie leise.
    »Was?« fragte Gunder.
    »Poona. My name is Poona Bai.«
    Sie reichte ihm eine braune Hand.
    »Gunder«, sagte er. »Gunder
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