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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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immer beschützen. Das ist einfach so. Wenn sie etwas gesehen haben, was sie nicht begreifen, dann wagen sie nicht, das zu erzählen. Sie gehen davon aus, daß es ein Irrtum sein muß, denn mit dem bin ich aufgewachsen, und mit jenem habe ich zusammengearbeitet, und das da ist schließlich mein Vetter. Oder mein Nachbar. Oder mein Bruder. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Deshalb sage ich nichts, es stimmt ja doch nicht. So sind wir Menschen. Und das ist ja auch gut so, nicht wahr, Kollberg?«
    Er sah den Hund an. »Hier ist nicht die Rede von bösem Willen. Was die Leute daran hindert, zu sagen, was sie wissen, ist der gute Wille.« Lange starrte er auf die Wiese an, horchte. Linda hatte nichts gehört. Sein Europieper meldete sich, und er erkannte Snorrasons Nummer. Er fischte sein Telefon aus der Tasche und rief an.
    »Ich habe etwas gefunden«, sagte Snorrason. »Das kann wichtig sein.«
    »Ja?« fragte Sejer.
    »Winzige Spuren von weißem Pulver.«
    »Weiter.«
    »Auf ihrer Tasche und in ihren Haaren. Sehr wenig, aber wir haben es isoliert und ins Labor geschickt.«
    Sejer bedankte sich. Kollberg war aufgestanden. Ein weißes Pulver. Etwas, das sich zurückverfolgen ließ. Drogen? Er warf einen letzten Blick auf den Wald. War die Frau selber auf die Wiese gelaufen, weil sie Gunwalds Haus gesehen und auf Rettung gehofft hatte? Andere Fluchtmöglichkeiten hatte sie nicht gehabt. Warum hatte sie nicht geschrien? Gunwald hatte nur leises Rufen gehört. Aber vielleicht war er schwerhörig. Warum hatte der Mann gerade hier angehalten, wo es so übersichtlich war? Hatte sie vielleicht die Tür aufgerissen und weglaufen wollen? Linda hatte gesagt, die Tür zum Beifahrersitz habe offengestanden. Hatte sie den Weg hinter der Wiese gesehen und hinlaufen wollen? Hinunter zum Norevann? Er ließ den Hund ins Auto springen und setzte sich hinters Lenkrad. Schloß die Augen. Das tat er oft. Dann verschwand die wirkliche Landschaft, und andere Bilder tauchten in seinem Bewußtsein auf. Sie flimmerten an ihm vorüber, scharf und hell. Statistisch gesehen ein Mann zwischen zwanzig und fünfzig . Oft mit fester Arbeit , aber ohne qualifizierte Ausbildung . Ein Mann , der nicht ausdrücken kann , wer er ist , und wie er empfindet . Vielleicht hat er Bekannte , kann sich anderen Menschen aber nicht anschließen . Unklare Beziehung zu Frauen . Fühlt sich permanent benachteiligt .
    Sejer fuhr auf den Weg und ließ den Wagen langsam zum See hinunterrollen. Nach ungefähr fünfhundert Metern erreichte er eine schmale Bucht mit einem steinigen Strand. Kein Haus, keine Hütten. Er ging zum Wasser. Blieb eine Weile stehen und schaute zum anderen Ufer hinüber. Kein Mensch zu sehen. Er hielt die Hand ins Wasser, es war sehr kalt. Fuhr sich mit der feuchten Hand über die Stirn. Auf der rechten Seite stand dichter, undurchdringlicher Wald. Auf der linken streckte sich eine schmale Landspitze ins Wasser. Er ging hinaus. Fand dort die Reste eines Feuers, stocherte mit dem Fuß darin herum. Das Wasser war schwarz, möglicherweise tief. Er hätte sie hier loswerden können. Das taten viele, warfen die Leichen ins Wasser, vergruben sie. Hier war kein Versuch unternommen worden, den Mord zu verbergen. Nichts, um sie in die Irre zu führen. Ein chaotischer Täter, geprägt von Verwirrung und fehlender Kontrolle. Dann fuhr er zur Wache zurück.
     

SOFORT RISS SKARRE SEINE TÜR AUF. 
    Wie üblich kaute er auf einem Gummibärchen herum.
    »Was ist mit Kolding?« fragte er hoffnungsvoll. »Er ist nicht unser Mann?«
    »Glaub ich nicht. Wenn er sie nicht mit einer Wagenbatterie erschlagen hat, die er in Elvestad in der Tankstelle gekauft haben will. Ich werde mich da mal erkundigen. Ansonsten haben wir die unangenehme Aufgabe, frühere Sittlichkeitsverbrecher zu überprüfen.«
    »Aber er hat sich an ihr doch nicht vergangen?«
    »Das kann er aber zuerst vorgehabt haben. So schlimm sich das anhört, ich wünschte, er hätte es geschafft. Dann würden wir jetzt mehr finden.«
    »Wie groß ist die Chance, daß er kein Ersttäter ist?«
    »Ziemlich groß. Aber er kann jung sein und es noch nicht so weit gebracht haben.«
    »Ist er jung?«
    »Diese Wut, diese gewaltige Wut – die hat etwas Junges an sich. Ich bin fünfzig«, sagte Sejer nachdenklich. »Ich glaube nicht, daß er fünfzig ist. Höchstens dreißig.«
    »Dreißig und stark.«
    »Und tödlich verletzt. Vielleicht von einer Frau, vielleicht von allen Frauen. Man wird sehr stark, wenn man

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