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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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und ließ sie wie Silber glänzen, obwohl sie doch blau war. Er ging mit raschen Schritten neben dem Hund her über die Straße. Nach einigen Metern schaute er zur Wiese hinüber, wo die Frau gefunden worden war. Ein Mensch wäre vermutlich nur von der Taille aufwärts zu sehen, wegen der Entfernung und des hohen Grases. Er starrte wieder das Auto an. Was sah er eigentlich? Daß der Wagen groß und breit und metallisch lackiert war. Er konnte durchaus silbrig oder grau wirken. Ein Wagen, der wie rot aussah, konnte auch braun sein. Oder orange. Er war deprimiert. Trat an den Straßenrand, schaute ins Gras, um sich davon zu überzeugen, daß es trocken war, und setzte sich. Der Hund setzte sich neben ihn. Und schaute ihn erwartungsvoll an. Schnupperte an seinen Taschen. Sejer fischte einen Hundekeks heraus und verlangte Pfötchen. Das Pfötchen war groß und schwer. Hastig verschlang Kollberg den Keks.
    »Sei nicht immer so gierig«, sagte Sejer leise.
    Kollberg bellte.
    »Nein. Mehr hab ich nicht. Du siehst jämmerlich aus«, sagte Sejer nachdenklich. Er hob den Hundekopf und starrte in die schwarzen Augen. »Ich bin auch nicht gerade glücklich. Über das, was hier passiert ist.« Er starrte wieder auf die Wiese. Zu der schwarzen Tannenwand, die Gunwalds Haus teilweise verdeckte. Ein Fenster war erleuchtet. Wie hatte er es wagen können? Er überlegte sich, daß nichts geplant gewesen sein konnte. Hier war ein Mann unversehens auf eine Frau gestoßen. Sie hatte per Anhalter fahren wollen, vielleicht, oder war am Straßenrand entlang gegangen, und dann war er gekommen. Und dann hatte sie als Frau, mit ihrem exotischen Wesen, etwas in ihm entzündet. Er hatte nicht mehr rational denken können, hatte nicht bedacht, daß es noch immer hell war, daß jederzeit jemand kommen könnte. So wie Linda auf ihrem Fahrrad. Wie konnte ein Mann eine solche Wut auf eine Person entwickeln, die er möglicherweise nicht einmal kannte? Aber das wußten sie ja nicht. Und vielleicht war die Frau zur Stellvertreterin für eine andere geworden. Oder für alle anderen Frauen. Für einen beleidigten Mann, der seinen Willen nicht hatte durchsetzen können, ein großes, abgewiesenes Kind. Einen Mann mit großen Kräften oder einer mächtigen Waffe, was immer die gewesen sein konnte. Was hatte er in seinem roten Wagen bei sich gehabt? Sejer spürte, daß das ein Teil der Lösung war. Die Waffe würde sie zum Täter führen können. Und hatte Linda wirklich diese beiden gesehen, Täter und Opfer? Es mußte so gewesen sein, die Zeit stimmte überein. Das Flugzeug war um achtzehn Uhr gelandet. Um zwanzig vor sieben hatte sie sich in Koldings Taxi gesetzt. Um zwanzig Uhr hatten sie Jomanns Haus, Einars Kro dann um zwanzig Uhr fünfzehn erreicht. Sunde hatte gesagt, sie sei gegen halb neun gegangen. Allein, die Straße entlang. Und dort war ihr jemand begegnet. War sie mit dem schweren Koffer unterwegs gewesen? Anders Kolding hatte gesagt, der sei groß gewesen, und sie habe ihn in die Kneipe schleppen müssen. Dann kam ein Mann angefahren. In Gedanken sah er ein rotes Auto, und den Fahrer, der die dunkle Frau entdeckte. Wie unbeschreiblich verloren und verlockend sie sicher gewesen war! Eine schmächtige Frau in schönen Kleidern. Wo sie wohl hingewollt hatte? Zurück zu Jomanns Haus, vermutlich, es war dieselbe Richtung. Hatte sie sich zum Warten auf die Treppe setzen wollen? Wenn sie unterwegs nicht aufgehalten worden wäre, hätte sie Jomann dort angetroffen. Er war um halb zehn wieder zu Hause gewesen. Aber sie war nie so weit gekommen. Nach der langen Reise aus Indien war sie tausend Meter von seinem Haus entfernt ums Leben gekommen. Er stellte sich vor, wie der Mann anhielt und sie ansprach. Vielleicht zeigte er auf den Koffer und fragte, wohin sie wolle.
    Ich kann Sie fahren , ich muß in dieselbe Richtung . Dann nahm er den Koffer und stellte ihn hinten ins Auto. Öffnete für sie die Tür. Sie fühlte sich sicher, sie befand sich in Gunders Heimatland, im kleinen, freundlichen Norwegen. Sie fuhren los. Er fragte, was sie bei Gunder wolle. Vielleicht sagte sie: »Das ist mein Mann.« Sejer hielt dieses Bild fest, doch dann entglitt es ihm, denn er wußte nicht, was die Wut und den Überfall ausgelöst hatte. Der Wagen fuhr ihm davon. Verschwand hinter der Kurve. Der Hund stupste ihn mit der Schnauze an.
    »An so seinem Ort«, murmelte Sejer und schaute sich um, sah Wald und Wiese und Gunwalds Haus, »an so einem Ort werden die Leute einander

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