Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
wütend ist. Und er hatte eine kräftige Waffe. Was hast du in deinem Wagen, Jacob?«
Skarre kratzte sich am Kopf. »Einen Werkzeugkasten aus Metall, mit kleinen Geräten. Wagenheber. Warndreieck. So was. Ab und zu einen Kleiderbügel für mein Sakko.«
»Himmel.«
»Thermosflasche, auf weiten Strecken. Taschenlampe.«
»Zu klein.«
»Meine ist riesig. Die größte Maglite, sie ist vierzig Zentimeter lang.«
»Die ist zu eckig und hätte andere Verletzungen hervorgerufen.«
»Dann habe ich vierzig Kassetten im Handschuhfach und ab und zu eine Tüte mit Pfandflaschen, die ich dauernd abzugeben vergesse. Was hast du in deinem Wagen?«
»Kollberg«, sagte Sejer. Er trat ans Fenster. Skarre stellte sich neben ihn. Eine Weile dachten sie schweigend nach.
»Er zählt die Stunden«, sagte Sejer.
»Er sammelt sie«, sagte Skarre.
»Die Uhr wird für ihn zur Manie. Jeden Morgen die Zeitungen. Und die Nachrichten. Alle Informationen, die durchsickern. Er behält alles im Blick, merkt sich alles. Versucht festzustellen, was wir wissen.«
»Und das ist nicht viel«, sagte Skarre. »Was ist mit Jomann?«
»Der hat das Krankenhaus gegen neun verlassen. Das ist dort bestätigt worden. Und er braucht eine halbe Stunde, um nach Hause zu kommen.«
»Und ihm ist niemand begegnet?«
»Ein weißer Saab. In hohem Tempo. Sie wären fast zusammengestoßen.«
»Ich fahre auf den Landstraßen auch immer ein bißchen schneller«, sagte Skarre lächelnd.
EIN MANN BETRAT DAS ZIMMER.
Gunder ließ Maries Hand los. Er erkannte Sejer, und plötzlich war er überzeugt davon, daß es sich um ein schreckliches Mißverständnis handelte. Vermutlich war die Bananentasche in vielen tausend Exemplaren hergestellt worden. Sejer blieb stehen und betrachtete den Mann, der den Kopf gesenkt hatte.
»Wie geht es?« fragte er.
Gunder blickte ihn hoffnungslos an. »Sie sagen, daß sie den Schlauch bald aus ihrem Hals nehmen müssen, weil ihre Kehle sonst zu wund wird. Dann schneiden sie ihr ein Loch in den Hals und stecken den Schlauch hinein. Ich begreife nicht, wie das gehen soll«, sagte er.
Eine Weile schwiegen die beiden Männer.
»Haben Sie den Bruder gefunden?« fragte Gunder.
»Nein«, sagte Sejer. »Aber wir sind auf der Suche. In Neu-Delhi gibt es so viele Menschen, und wir müssen doch den richtigen finden.«
»Er wollte nicht, daß sie herkam«, sagte Gunder traurig. »Ich werde übrigens seinen Flug bezahlen. Sagen Sie ihm das. Das ist meine Sache.«
Sejer versprach, den Bruder zu informieren. Gunder fuhr sich mit einer kalten Hand über den Nacken. »Sie sagen doch Bescheid, wenn ich sie begraben kann?« fragte er.
Sejer zögerte. »Das dauert sicher noch. Vorher muß soviel geklärt werden. Wir müssen auch mit ihrem Bruder darüber sprechen, wo sie bestattet werden soll. Sie müssen damit rechnen, daß er sie nach Hause holen will. Nach Indien.«
Gunder wurde leichenblaß. »O nein! Nein, sie soll hier begraben werden, in Elvestad, bei der Kirche. Sie ist doch meine Frau«, sagte er besorgt. »Ich habe den Trauschein hier.« Er klopfte sich auf die Tasche.
»Ja«, sagte Sejer. »Ich wollte Sie ja auch nur auf alle Möglichkeiten vorbereiten. Das wird sich schon alles finden. Aber es kann dauern.«
»Sie ist meine Frau. Und ich habe zu entscheiden.«
Gunder regte sich auf. Das kam sonst nie vor. Sein ganzer schwerer Körper zitterte.
»In Indien werden die Toten doch zumeist eingeäschert, oder?« fragte Sejer vorsichtig. »Welcher Religion gehörte sie an?«
»Sie war Hindu«, sagte Gunder leise. »Aber nicht wirklich praktizierend. Sie würde hier bei mir liegen wollen. Da bin ich mir sicher.«
Wieder schwiegen sie.
»Aber wenn ihr Bruder sie nach Indien holen will, was soll ich dann machen?« fragte Gunder schließlich verzweifelt.
»Es gibt sicher Vorschriften für solche Fälle. Sie haben natürlich auch Ihre Rechte. Ein Jurist wird Ihnen helfen können, denken Sie jetzt nicht daran. Denken Sie an sich und an Ihre Schwester«, sagte Sejer. »Für Ihre Frau können Sie nichts mehr tun.«
»Doch! Ich kann für eine schöne Beerdigung sorgen. Ich werde mich um alles kümmern. Ich bin jetzt krankgeschrieben. Deshalb sitze ich den ganzen Tag hier. Mir ist es egal, wo ich bin. Und ein Bett habe ich auch«, er zeigt auf das Bett vor dem Fenster. »Karsten bringt es nicht über sich, hier zu sitzen. Karsten ist ihr Mann«, erklärte er. »Er tut mir leid. Er hat solche Angst.«
»Ich habe oft so bei meiner
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