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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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jetzt?«
    »Im Auto natürlich. In meinem Privatwagen, meine ich.«
    Sejer dachte an die Batterie, an deren Gewicht. An ihre klaren, harten Flächen. Wenn ein Mensch damit geschlagen würde, müßte er erhebliche Verletzungen davontragen. Bei diesem Gedanken sah er sich Koldings Gesicht genauer an. Und erinnerte sich daran, daß Poona in seinem Wagen gesessen hatte.
    »Was haben Sie in der Tankstelle noch gemacht?«
    »Ach, nicht viel. Ich habe in aller Eile eine Cola getrunken. Mir die CDs angesehen. In einer Zeitung geblättert.«
    »Sie haben dort also einige Zeit verbracht?«
    »Nur ein paar Minuten.«
    »Sie haben die Inderin nicht wieder aus der Kneipe kommen sehen?«
    »Nein, nein.«
    »Und danach. Wohin sind Sie dann gefahren?«
    »In die Stadt zurück. Von Elvestad aus gibt’s keine Touren. Ich hatte also eine Leerfahrt.«
    »Ihr Taxi, was ist das für eine Marke?«
    »Ich fahre einen schwarzen Mercedes.«
     

»WIE VIELE MENSCHEN LEBEN IN NEU-DELHI?«
    Sie saßen in der Kantine. Sejer stocherte in seinem Essen herum.
    »Viele Millionen, nehme ich an«, meinte Skarre. »Und wir kennen nicht einmal seinen Vornamen.«
    Sejer gefiel der Gedanke nicht, daß Poona Bais Bruder von allem nichts ahnte. Er schob die Gurkenscheibe von seinem Brot. Sie aßen schweigend weiter.
    »Die Zeit vergeht«, sagte er endlich.
    »Ja«, sagte Skarre. »Das hat sie so an sich.«
    »Der Schuldige kann die Zeit nutzen. Er kann seine Verteidigung aufbauen. Spuren verwischen.«
    »Den Koffer loswerden, zum Beispiel«, sagte Skarre kauend.
    »Und seine Kleider. Die Schuhe. Wenn er sich bei dem Handgemenge verletzt hat, dann können die Wunden heilen. Erzähl mir von Einar Sunde.« Skarre dachte nach. »Mürrisch. Unwillig. Vollständig ohne Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.«
    »Oder er hat Angst«, warf Sejer ein.
    »Kann schon sein. Aber er war allein in der Kneipe, als der Mord passiert ist. Er hat wohl kaum die Tür abgeschlossen, ist losgefahren, hat Poona umgebracht und sich dann wieder seinen Hamburgern gewidmet.«
    »Wir haben nur sein Wort dafür, daß er allein war.«
    Sejer wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
    »Das ist so ein Fall, wo niemand reden mag«, sagte er. »Weil später alles gegen sie verwendet wird. Aber ich denke an die kleine Linda. Daß sie wirklich an den beiden vorbeigefahren ist und sie gesehen hat. Ohne mehr zu registrieren als ein weißes Hemd.«
    »So was kommt doch vor.«
    »Wir müssen sie irgendwie dazu bringen, sich zu erinnern.«
    »Wir können uns an nichts erinnern, was wir eigentlich gar nicht gesehen haben«, wandte Skarre ein. »Es kann viele visuelle Eindrücke gegeben haben, aber wenn ihr Gehirn die nicht interpretiert hat, dann wird sie sich nie daran erinnern können.«
    »Meine Güte, was du alles weißt!«
    »Grundlegende Zeugenpsychologie«, sagte Skarre.
    »Ach ja! So was haben wir nie gelernt.«
    »Ihr hattet keine Psychologie?«
    »Einen Vortrag. Von zwei Stunden. Das war alles.«
    »Während der gesamten Ausbildung?«
    »Ich habe mir das alles selber beibringen müssen.«
    Skarre musterte seinen Chef mit ungläubiger Miene.
    »Tut mir leid, das sagen zu müssen«, sagte er dann, »aber ich weiß nicht, wie ernst wir sie nehmen können. Sie ist zu eifrig.«
    »Wenn Psychologen Leute dazu bringen können, sich bis in die Steinzeit an ihre früheren Leben zurückzuerinnern, dann müssen sie Linda doch auch die Erinnerung an zwei Menschen geben könnten, die vor vier Tagen auf einer Wiese waren.«
    »Jetzt wirst du unseriös«, sagte Skarre trocken.
    »Weiß ich.«
    Er dachte nach. »Jetzt habe ich eine Stunde frei. Ich fahre nach Hvitemoen. Ich nehme Kollberg mit, der braucht frische Luft.«
    Sie brachten ihre Tabletts weg. Sejer ging auf den Parkplatz hinaus. Beim Näherkommen sah er, wie heftig sein Wagen schaukelte. Der schwere Leonberger sprang heraus. Nicht so leichtfüßig wie früher, wie Sejer plötzlich bemerkte. Aber Kollberg war ja auch kein junger Hund mehr.
    Er wischte sich kupferrote Hundehaare von der Hose. Ließ den Hund im Gebüsch sein Geschäft verrichten. Dann fuhr er in Richtung Elvestad los. Bei Hvitemoen hielt er an der Stelle, wo Linda den roten Wagen gesehen hatte. Die Stelle war mit zwei orangenfarbenen Plastikkegeln markiert. Er ließ den Hund laufen und ging auf die Kurve zu, um die Linda mit dem Rad gebogen war. Dann wandte er sich um und schaute zurück. Jetzt konnte er sein Auto aus der Entfernung betrachten. Die Sonne schien auf die Motorhaube

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