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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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netten jungen Mann mit viel Energie, einer festen Freundin und stolzen Eltern, gutem Arbeitsplatz und sympathischen Freunden. Und schließlich hatte nicht Gøran den Koffer ins Wasser geworfen.
    Der Artikel verwirrte ihn. Er starrte den fetten Hund unter dem Tisch an. »War es Gøran?« fragte er laut.
    Der Hund hob den Kopf und horchte.
    »Das war nämlich Einar Sunde, der den Koffer ins Wasser geworfen hat.«
    Gunwald fuhr zusammen. Er hatte es laut gesagt und mußte sich sofort umschauen. Zwischen den dunklen Tannen konnte er die Wiese sehen. Die lag dort, als sei nichts geschehen, ein schönes kleines Stück Paradies. Der Regen hatte die Spuren weggespült. Das Blut des zerschlagenen Frauenkörpers war in den Boden eingesickert und verschwunden. Ich muß anrufen, dachte er verstört. Ich muß auf jeden Fall sagen, daß das mit dem Koffer etwas anderes war. Ich brauche nicht zu sagen, daß es Einar war, ich kann doch sagen, es war nicht Gøran. Ich begreife das nicht, dachte er verzweifelt und starrte die Zeitung an. Las den Artikel zweimal. Widersprüchliche Aussagen darüber, wo er den Abend verbracht hatte, und bestimmte unbelegbare Behauptungen hatten den Verdacht auf ihn gelenkt. Dazu kamen technische Funde, die noch genauer untersucht werden mußten. Das mit den technischen Funden war doch schrecklich. Torstein und Helga, die Armen, dachte er. Und was das wieder für einen Klatsch geben wird! Er selber ging nie zum Tratschen in die Kneipe. Er war zu alt und wollte lieber mit einem Schnaps vor dem Fernseher hocken. Aber Gøran war doch sicher unschuldig, und das würde die Polizei auch ohne seine Hilfe teststellen. Oder nicht? Er mußte nicht sofort anrufen. Er mußte sich die Sache erst überlegen. Entscheiden, wie er sich ausdrücken würde. Alles mußte doch stimmen. Und unter keinen Umständen würde er seinen Namen nennen. Er stellte Tasse und Untertasse ins Spülbecken und nahm den Hund an die Leine. Jetzt mußte er wieder ans Werk und vier Liter Milch und ein Brot und im Glücksfall noch einen Kasten Bier verkaufen. Er fuhr zum Laden und schloß die Tür auf. Warf den Zeitungspacken hinein. Starrte die Überschrift an. Es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, daß nicht Gøran der Mörder war, während alle anderen ihn für schuldig hielten. Eine Mischung aus Wichtigkeit und Besorgnis machte ihm zu schaffen. Wenn ich jung wäre, hätte ich längst angerufen, dachte er. Aber ich kann mir auch nicht alles zumuten. Schließlich gehe ich bald in Rente.
    Linda hörte die Nachricht im Radio, sie saß im Morgenrock am Küchentisch. Sie schüttelte den Kopf. Gøran konnte es doch nicht sein. Oder wußte die Polizei etwas, das sie nicht wußte? Sie rieb sich den Nacken. Der tat noch immer weh. Immer wieder nahm sie schmerzstillende Tabletten, aber die halfen nicht. Sie fühlte sich eingehüllt in einen seltsamen Nebel, durch den niemand sie erreichen konnte. In diesem Nebel war nur noch Platz für Jacob mit den blauen Augen. Die Welt wurde undeutlich, Jacob war glasklar. Ab und zu führte sie lange Gespräche mit ihm. Seine Stimme war ganz deutlich.
    Gunder sah die Schlagzeile, als er die Zeitung aus dem Briefkasten nahm. Danach starrte er lange vor sich hin. Er empfand nichts, nur Müdigkeit. Es gibt soviel Lärm, dachte er. Vielleicht sollten wir abschließen und allesamt zur Ruhe gehen, ein für allemal. Er schleppte sich zum Haus und setzte sich zum Lesen hin. Mode von der Tankstelle ließ sich an diesem Tag mit der Kundschaft Zeit, denn alle wollten ihren Senf dazugeben. Bald teilte das Dorf sich in zwei Fraktionen. Die einen hielten Gøran für unschuldig, die anderen verurteilten ihn erbarmungslos. Und dann gab es noch eine kleine Weiß-nicht-Gruppe, die mit den Schultern zuckte und in eine andere Richtung schaute, Klug genug, um den Mund zu halten, und weitsichtig genug, um daran zu denken, daß das Urteil noch längst nicht gefällt war.
    Auf der Wache wurde alles für das erste Verhör vorbereitet. Gøran hatte den Kopf hoch erhoben. Er dachte an das Gesicht seiner Mutter, hinter dem Fenster. An den ganz und gar verstummten Vater, dessen schwarze Augen von Zweifel erfüllt gewesen waren. Sprechen war nie die starke Seite des Vaters gewesen. Die Mutter flennte wie ein Kind. Der Hauptkommissar ging schweigend und grau wie eine Mauer vor ihm her. Was man aber auch alles erlebt, dachte Gøran. Alles war so unwirklich. Aber die Polizisten waren freundlich. Sie würden ihn nicht schlagen, da war er sich

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