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Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
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Agambens Verständnis ist die Geste ein Mittel ohne Zweck und eröffnet
     so einen Raum für die Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben ohne auf tiefverwurzelte Identitäten zurückzugreifen. Die Geste
     bezieht sich auf eine Art des Ingebrauchnehmens, die sich der funktionalistischen Doktrin moderner Städte entzieht. Sie unterläuft
     das Regelwerk der Planung, indem die Stadt umarmt wird. Wie der niederländische Philosoph René ten Bos argumentiert, liegt
     der Effekt einer solchen ästhetischen Methode in der vollständigen Veränderung der Welt, ohne sie zu verletzen (vgl. ten Bos
     2005: 37). In anderen Worten besteht das Paradoxon von Free Running in einer Anerkennung anderer Identitäten, die auf der
     Weigerung beruht, Form als eine bestimmende Bedingung anzuerkennen. So wie die Geste ihre eigene Möglichkeit schafft, bringt
     die körperliche Artikulation der Free Runner (der tatsächliche Akt |267| von Parkour) das Terrain ihrer eigenen politischen und ästhetischen Verortung hervor.
    Die Entkoppelung der Verbindungen zwischen unserer Vorstellung von Stadt und der Architektur, die diese aufrechterhält, macht
     einen wichtigen Teil dieser Artikulation aus. Während Alltagsroutinen bestimmte Rollen und Konzepte mit Gebäuden und Orten
     eindeutig verbinden, fordert Free Running diese Ordnung heraus, indem es eine spezielle Art des Eindringens in diese Architekturen
     wählt. Im Gegensatz zu Graffiti oder ähnlichen ästhetischen Interventionen in die gebaute Umwelt handelt es sich aber nicht
     um ein Eindringen, das lesbare Spuren hinterlässt. Es ist vielmehr ein Eindringen in eine allgemein akzeptierte Idee von Stadt
     und ihre Beziehung zur gebauten Umwelt. Free Runner hinterfragen nicht die Materialität von physischem Raum; sie hinterfragen
     und deregulieren unsere Vorstellung von gebautem Raum als solche: den kreativen Prozess, in dem die von Architekten entworfenen,
     von Behörden verwalteten und von Millionen von Menschen benutzten baulichen Elemente als
Idee
von Stadt zusammenkommen. Mit der Kraft des Körpers oder – besser gesagt – im Dehnen der Vorstellung, was Körper mit gebauten
     Dingen tun können, führt Free Running eine bisher unbekannte körperliche Wirklichkeit in die Stadt ein.
    Dieser Balanceakt von Umarmung und Verweigerung findet zugleich aber auch in einem kommerziellen Umfeld statt: Core Design,
     das Computerspielunternehmen hinter
Lara Croft
, hat ein Parkour-Spiel namens
Free
Running
entwickelt, das weltweit für Sonys Play Station vertrieben wird und virtuelle Doppelgänger der prominentesten Traceure beinhaltet. 5 Das Geschäft umfasst auch eine Werbekampagne für das Spiel, die auf Bildschirmen in 500 europäischen Geschäftslokalen der
     Footlocker-Kette läuft, welche die exklusiven Rechte für den Verkauf des Free Running-Schuhs von Adidas hält. Und in einem
     Werbespot der Konkurrenz flüchtet Sébastien Foucan mit Nike-Presto-Schuhen in den Pariser Banlieues vor einem Huhn. Dies sind
     nur einige wenige herausragende Momente einer wachsenden Parkour-Industrie, in der sich Free Running-Protagonisten mit Firmen
     zusammengetan haben, um ein neues Bild von Stadt zu zeichnen. Urban Freeflow, eine der weltweit größten und am schnellsten
     wachsenden Free Running Communities verkündet auch mit Stolz, dass sie bereits viele gemeinsame Projekte mit Großunternehmen
     wie Nokia, Toyota, Siemens, O2 und Eidos abgewickelt haben. Das bis dato abenteuerlichste Geschäft |268| ist aber wohl der Vorspann für den einundzwanzigsten James Bond-Film
Casino Royale
(2006), in dem Sébastien Foucan als Mitglied eines terroristischen Netzwerks gejagt wird und durch atemberaubende Stunts besticht.
    Mit einer solchen Ausgangslage fällt es schwer, über Free Running nachzudenken, ohne die Komplizenschaft mit einem Wertesystem,
     das die Repräsentationsökonomien heutiger Stadtkultur unterspannt, in die Überlegungen miteinzubeziehen. Diese Komplizenschaft
     bietet allerlei Rückschlüsse darauf, wie Free Runner begonnen haben, Stadt genau so zu benutzen, wie Werbeagenturen oder andere
     Geschäftsunternehmen: als Gelegenheit, Dienstleistungen gegen Entgelt anzubieten. Zweifellos floriert dieses Geschäft mit
     Lifestyle-Accessoires, Modetrends und elektronischen Gadgets Hand in Hand mit Parkours atemberaubender Neubebilderung der
     urbanen Landschaft. Unternehmen, die auf die Kaufkraft neuer urbaner Schichten setzen, investieren ein erhebliches Interesse
     in die spektakuläre

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