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Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
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Bilderwelt, die von Free Running hervorgebracht wird. Es mag auf den ersten Blick also naheliegend sein,
     den wichtigsten Berührungspunkt beider Interessen in einer geteilten Ideologie der Sichtbarkeit zu vermuten. Dies erklärt
     aber noch lange nicht,
warum
die Visualität der akrobatischen Stunt-Shows von derart großer Anziehungskraft für Konsumenten wie für Unternehmen sein kann.
     Der entscheidende Punkt liegt in der Art und Weise, wie das Visuelle mit dem Sozialen über das Subjekt verbunden ist (vgl.
     Mirzoeff 2003: 248f.). In dieser Hinsicht dienen Free Runner als flinke Botschafter einer Fragmentierung und Neuzusammensetzung
     des sozialen städtischen Gewebes. Sie entsorgen die alte soziale Logik der Stadt auf visuellem Weg, indem sie sich aller kodierten
     Oberflächen der Stadt annehmen und sie von der Basis her neu formatieren. Was zum gemeinsamen Nährboden für Anhänger, Nachahmer
     und Unterstützer wird, ist daher nicht die überwältigende Bilderwelt von Parkour an sich, sondern die fortwährende Abfolge
     von Interventionen im symbolischen Raum. Die performative Logik dieser symbolischen Deregulierung bildet den gemeinsamen Grund,
     auf dem sowohl Lifestyleindustrien als auch Free Running aufbauen. Als
lebende
Verkörperungen urbaner Transformation übertreffen Free Runner sogar die Bemühungen von Unternehmen, ihre urbanen Lifestyle-Produkte
     als
lebendig
zu vermarkten: Traceure
sind
die flüchtige Aktualisierung solcher Versprechen.
    Während man vorschnell annehmen könnte, dass die Effektivität von Free Running entlang seinem Haltfinden an physischen urbanen
     Orten wächst, ist also genau das Gegenteil der Fall: Der symbolische Raum, den |269| Free Running und die Körper seiner Akteure in der Stadtlandschaft besetzen, gewinnt gerade über die Rückkehr zu den Bildern
     der Vorstellungswelt an Kraft. Anders gesagt, ist der Einzug von Free Running in den Kreislauf der globalen Bildökonomie zum
     Großteil von einem Rückzug aus physischen und sozialen Realitäten abhängig. Es sind gerade
nicht
ihre Aufführungen im realen Raum, die Traceuren helfen, den bekannten Hindernissen von marginalisierten Gesellschaftsschichten
     zu entkommen, sondern ihr Auftritt als Akteure in fiktionalen Mainstream-Genres. Von Musikvideos und Free Running Games bis
     zu Werbespots und Actionfilmen liegt der weltweite Verkauf dieser Bildformate der sozialen Anerkennung und dem ökonomischen
     Erfolg der Parkour-Protagonisten zugrunde. Die Flucht aus den Engen des sozialen Lebens bezieht sich daher auf ein Spiel mit
     zwei unterschiedlichen Ebenen: jene des Parkour-Trainings in konkreten physischen Räumen und jene des Entkommens mithilfe
     populärer Medienformate.
    Welcher Konflikt zwischen diesen beiden Ebenen besteht, lässt sich auf Webseiten erkennen, die mit Nachdruck darauf bestehen,
     dass die prominentesten Protagonisten von Parkour immer noch in den gleichen Gegenden trainieren, in denen der Sport ursprünglich
     entstanden ist. Physische Orte wie die Skulptur
Dame du Lac
nahe Lisses (manchmal als das »internationale Symbol« von Parkour beschrieben) werden so zu einem Mekka für Traceure aus der
     ganzen Welt. Wiewohl diese Ursprungsmythen einen gewissen Glauben an Parkour beflügeln helfen, liegt es auf der Hand, dass
     sich eine Breitenwirkung der Disziplin erst einstellen konnte, als sie sich von der lokalen Szene und ihren eigenen gestenhaften
     Politiken entfernte. Die Frage, in welchem Ausmaß dieser Wandel als Vehikel zur Weiterentwicklung der Disziplin akzeptiert
     werden soll, verursacht heiße Debatten, in denen um die
Ins
und
Outs
der Disziplin gerungen wird. Viele Puristen des Sports betrachten die theatralische Seite von Parkour, vor allem aufsehenerregende
     Trickbewegungen, speziell gewidmete Trainingsareale und glamouröse Werbeauftritte, als Niedergang der Bewegung. Diese internen
     Kämpfe zwischen »wahren« Traceuren, Free Runnern, Free-Style-Verfechtern und anderen Gruppierungen mögen manchen als Scheingefecht
     gelten, sie verdeutlichen aber die in Parkour ausgetragene Spannung zwischen dem Akt der selbstbestimmten Aneignung von Stadt
     und dessen Kommodifizierung mithilfe einer global orientierten Bildökonomie.
    Aus dieser Spannung geht die Frage hervor, ob die von Free Runnern geschaffenen flüchtigen Räume in der Lage sind, die einer
     Politik der Gesten inhärenten Ambivalenzen aufrechtzuerhalten oder ob das Zirkulieren |270| von Bildern und Produkten dieser urbanen

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