Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
1979: 105) 1 , als popkulturelle Tradition eines rituell inszenierten, beständigen Fremdwerdens ihren
subversiven
Gehalt entfalten.
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Abbildung 2: Sid Vicious im Rahmen einer Bühnenperformance im Jahr 1978
(Quelle: http://artvolume1.files.wordpress.com/2007/11/sid-vicious.jpg, 27.05.2008)
Sid Vicious
zeigt sich mit leicht abgespreizten Armen und geschlossenen Augen dem Betrachter und damit auch der ihn fokussierenden Kamera
zugewandt. Sein teilweise durch den Gurt des E-Basses verdeckter, schmaler und unbekleideter Oberkörper hebt sich hell vor
dem dunklen Hintergrund der Konzertbühne ab. Die Gesichtszüge sind, wie auch Brust und Arme, von Blut, Prellungen und Schnittwunden
gezeichnet, die er sich größtenteils im Laufe des Konzertes selbst zugebracht hat. Die Mundpartie ist dunkel vom eigenen Blut,
das aus der gestauchten Nase quillt und Wangen und Stirn wurden, wie Fingerspuren vermuten lassen, bewusst damit beschmiert.
Die Wunden an Brust und Armen nehmen teilweise die Form von Ziffern und Buchstaben ein: Ein geheimer Code, der die autoaggressive
Geste erklärt?
|120| Die während eines Konzertes festgehaltene Pose des Bassisten der
Sex
Pistols
lässt die während des Auftritts durchgeführte Selbstverletzung im Moment ihrer Rezeption in den Hintergrund treten. Die Haltung
des zarten und offensichtlich gepeinigten Körpers, die Geste der leicht geöffneten Arme, das sanft abgewandte Gesicht, dessen
Ausdruck nicht mehr zu der vorausgegangenen explosiv-selbstzerstörerischen Handlung passen will, fügen sich in der Wahrnehmung
des Betrachters ein in eine Bildtration des jugendlichen Märtyrers, des zu Unrecht geschändeten, unschuldigen Körpers, wie
er sich in Abbildungen frühchristlicher Heiliger findet und in der Darstellung des gekreuzigten und seine Wunden zeigenden
Christus kulminiert: Eine Referenz auf Heiligkeit und Extase als inszenierte Abweichung.
In den vierziger und fünfziger Jahren untersuchten die Wissenschaftler aus dem Forschungshintergrund der Chicagoer Schule
die Ursache abweichenden Verhaltens Jugendlicher am Beispiel urbaner Gangs (vgl. u.a. Whyte 1943 und Cohen 1955) und deuteten
dieses als einen Anpassungsprozess an bereits bestehende, soziale Milieus und als Reaktion auf mangelnde Möglichkeiten einer
anderweitigen Orientierung. Dieser Tradition folgend griffen die Forschenden des Centre of Contemporary Cultural Studies Birmingham
die These von der (durch das jugendliche Aufbegehren zum Ausdruck gebrachten) sozialen Frustration einige Jahrzehnte später
erneut auf. Vor allem Dick Hebdige entwickelte ein Modell zur Deutung der jugendlichen Stilkulturen im Kontext der britischen
Arbeiterklasse der Nachkriegszeit, das diese als Medium eines symbolisch artikulierten Dissenses der Jugendlichen gegenüber
einer dominanten bürgerlichen Kultur versteht (vgl. Hebdige 1979: 15ff.). Im Motiv des Umwertens und des Neukombinierens von
mit Bedeutung belegten Alltagsgegenständen und Statussymbolen entwickle sich ein auf kulturellem Feld ausgetragener Kampf
um die Zeichen, die die soziale Wirklichkeit abbildeten und ordneten. Im Zuge dessen lasse sich die inszenierte Abweichung
von allgemeinen Normen als die Weigerung verstehen, die Mythen einer kulturellen Hegemonie als allgemeine Wahrheiten zu akzeptieren.
Neuere Ansätze stehen diesen Ergebnissen meist mehr als kritisch gegenüber. Eines der Hauptargumente gegen diese Auffassung
sind die sich spätestens seit den achtziger Jahren immer stärker ausdifferenzierenden jugendkulturellen Stile und die sich
auflösenden, vormals offensichtlichen Stilgrenzen (vgl. Muggleton 2000 und McRobbie 1994). 2 Der Versuch, Stilformationen |121| Jugendlicher auf eine Gesamtaussage hin zu dechiffrieren, lasse sich angesichts eines »
streetstyle themeparks
« (Polhemus 2000: 149), eines scheinbar alles mit allem in Beziehung setzenden Spielfeldes der Selbststilisierung, in seiner
oppositionellen Zweckgerichtetheit kritisch hinterfragen. In seinem Text »Die Bedeutung von Stil. Jugendkulturen und Jugendszenen
im Licht der neueren Lebensstildiskussion« hebt Ralf Vollbrecht die heute fehlende Milieubindung der jugendlichen »Freizeit-Szenen«
hervor (Vollbrecht 1995: 23–37). Statt einer gesellschaftskritischen Intention seien aktuelle Formen jugendlicher Vergemeinschaftung
in ihrer Orientierung an Lebensstilen und damit letztlich als Konsumkulturen zu verstehen. Die Bedeutung des Stils beschränkt
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