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Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
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sich dabei in erster Linie auf dessen distinktive und damit identitätsstiftende Funktion. Vollbrecht schließt aus diesem Zusammenhang:
     »Spätestens seit den achtziger Jahren ist es nicht mehr möglich, Jugendkulturen generell als Gegenkulturen aufzufassen.« 3
    Neben der fehlenden sozialkritischen Positionierung der Jugendlichen, entzündet sich eine Diskussion um den gegenkulturellen
     Gehalt jugendlicher Inszenierung an der großflächigen und frühen Vermarktung von Stilinnovationen und deren industrieller
     In-vitro-Produktion. Eine solche, meist einseitige Kritik ist jedoch gleichfalls zu problematisieren: Tatsächlich ist die
     Kommerzialisierung jugendkultureller Äußerungen, im Sinne der Vermarktung von Musik- und Printerzeugnissen, Kleidung und Events
     nicht zu leugnen. Die Vision einer kanonischen Trennung zwischen Mainstream und Underground, zwischen Authentizität und Künstlichkeit,
     zwischen Anspruch und Geschäft ist lange schon als kurzsichtig entlarvt. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern selbst vor
     diesem Hintergrund explizite Kapitalismuskritik, der Wettlauf einer vermeintlichen Avantgarde um die letzten unerschlossenen
     Felder der abweichenden Innovation und die beständige Verweigerung gegenüber der Vermarktung ihrer Produkte tatsächlich die
     Bedingung einer infrage stellenden und kritischen kulturellen Form darstellen (vgl. hierzu u.a. Künkler 2008)?
    In einem solchen Diskurs bleibt damit letztlich die Idee eines widerständigen
gallischen Dorfes
, das sich in der Selbstgewissheit seiner oppositionellen Überlegenheit dem kulturindustriellen Imperium entgegenstellt, lebendig.
     Die Hebdige'sche Position einer jugendlichen Subkultur steht so als Phantom- und Gegenbild auch hinter der kritischen Argumentation
     Vollbrechts, |122| der den neueren jugendlichen Vergemeinschaftungsformen angesichts ihrer Konsumorientierung ihre gegenkulturelle Position abspricht.
    Abbildung 3: Videostill aus: Kiss (Scout Niblett und Will Oldham 2007)
    (Quelle: http://www.toopure.com/scoutniblett, 03.06.2008)
    Die oben abgebildete Situation zeigt eine friedliche und menschenleere Landschaft in Abendstimmung, die sich im Hintergrund
     erstreckt. Die Ränder des Bildausschnittes sind, wie durch eine geschlossene Kamerablende, verdunkelt und unscharf. Sie richten
     den Blick des Betrachters auf das wirbelnde Zentrum, das ein Paar im kindlichen Tanz zeigt. Das Still aus dem Musikvideo zu
     dem Song
Kiss
, in dem die junge Folk-Musikerin Scout Niblett und die Singer/Songwriter-Legende Will Oldham gemeinsam zu sehen sind, inszeniert
     das romantische Motiv vom Tod und dem Mädchen, eines Totentanzes am Ufer eines Flusses und im sanften Licht des sich neigenden
     Tages. Die Gesten werden dieser Theatralik dabei nur bedingt gerecht. Die Körperhaltung der Sängerin ist linkisch und ungeschickt,
     passend zu der Verformung ihrer Gesichtszüge durch eine mit Brotstücken aufgepolsterte Oberlippe und die struppige Perücke,
     durch die sie zu Beginn des Videos ihre Erscheinung verfremdet. Und auch der Tod, gespielt von Will Oldham, hat die Hosenbeine
     hochgekrempelt und wirbelt ungravitätisch mit seiner Partnerin im Kreis.
    Anders als in der (auto)aggressiven Geste des Punk findet sich hier weder Blut noch irgendeine selbst zugebrachte Schnittwunde.
     Die physische |123| Deformation bleibt vorübergehend und wird in kindlich spielerischer Geste vollzogen. Im Gegensatz zu den Versehrtheitsmotiven
     in Punk und Hardcore, die sich in ihrer Interpretation vermeintlich leicht auf eine gesellschaftskritische Position hin reduzieren
     lassen, scheint hier eine solche Deutung weniger nahe liegend. Die Bildsprache der aktuellen New Folk-Szene ist sanfter, indirekter,
     scheinbar naiv. Nichts liegt hier ferner als die direkte Provokation und der Wille zum Schock. Dennoch bleibt das Motiv des
     versehrten jugendlichen Körpers auch in seiner indirekten Inszenierung gegenwärtig. Statt des offensiven Wundenzeigens wird
     das Motiv hier auf einer symbolischen Metaebene, im zärtlichen Verschlungensein mit dem Tod, inszeniert. Dieser Verweis wird
     durch das Motiv des Ufers als Grenze zwischen den Elementen, zwischen dem Hier und Jetzt und den unbekannten Gestaden, zwischen
     Leben und Tod unterstrichen. Die physische Vertrautheit mit Letzteren, die im Rahmen des Videos thematisiert wird, trägt das
     Motiv des bereits beschrittenen Weges auf die andere Seite, des Übergangs, der Passion in sich.
    Die Idee der

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