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Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
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performativen, die Wirklichkeit verändernden Handlung wird durch Judith Butler im Kontext der Frage nach Geschlechtsidentitäten
     und ihres Ursprungs aufgegriffen. Sie entwickelt den Ansatz einer nicht nur durch die körperliche Aufführung, sondern auch
     durch die »diskursive Konstruktion von Geschlecht durch Anrufung« (Butler 1990: 270–282) gegründet geschlechtlichen Identität
     (vgl. auch Butler 1997 sowie Wulf/Zirfas 2005). Damit würden durch das performative Element der Benennung Gender-Wirklichkeiten
     geschaffen, die sich durch die Reproduktion sozialer Normen in ihrer zitatförmigen Wiederholung und der Forderung nach mimetischer
     Nachahmung ergäben. Es handelt sich dabei um ein »Bildungsritual von Subjekten« (Wulf/Zirfas 2005: 11), ein Ritual also, dass
     sich in der Zuweisung und Übernahme der geschlechtsspezifisch geforderten Rolle vollzieht und bestätigt. Der performative
     Akt der geschlechtlichen Festlegung hat damit jedoch für das so identifizierte Subjekt in erster Linie beschränkenden Charakter.
    Auch Victor Turner hebt das Moment der Veränderung und Erschaffung von sozialen Wirklichkeiten durch performative Prozesse
     hervor. In seinen Arbeiten zu Übergangsritualen eröffnete er dabei jedoch eine Perspektive auf diese, die neben einem ordnungskonsolidierenden
     Aspekt, der in der Lösung von sozialen Spannungsmomenten besteht, vor allem deren infrage stellendes und schöpferisches Potenzial
     betont (vgl. Bachmann-Medick 2007: 113).
    |124| Im Rahmen dieser turnerschen Argumentation ist das Motiv der Liminalität, einer Phase der rituellen Zwischenexistenz, die
     sich im symbolischen Ablegen von sozialem Status und der Übernahme der »Stigmata der Niederen« (Turner 1967: 111) zeige, von
     zentraler Bedeutung. Die einzeln oder in Form einer Gruppe, der Communitas, eingenommene Rolle, verhalte sich als soziale
     Antistruktur, indem sie allgemeinen Wertmaßstäben ihre radikal komplementäre Umdeutung entgegenstelle. Dieses Gegenbild einer
     traditionellen Ordnung, das durch das liminale Subjekt symbolisch vertreten werde, ist in seiner Einbindung im Ritual, nicht
     außerhalb oder am Rande, sondern gerade im Zentrum der sozialen Wirklichkeit verortet. Die Anwesenheit des so rituell inszenierten
     Fremden werde von der es umgebenden Gruppe dabei als verunsichernd und gefährdend, im Sinne einer »mystischen Gefahr« (ebd.:
     107ff.) wahrgenommen, indem der geordnete
Zustand
mit der Wirklichkeit des
Übergangs
konfrontiert wird. Das Motiv der Liminalität als Grenz- und Zwischenzustand entwickelt seine wirklichkeitsverändernde Kraft
     dabei nicht wie bei Butler in der Bestätigung und Erneuerung, sondern gerade in der Irritation der Ordnungen der Alltagswirklichkeit,
     indem er diese mit der Nachtseite außeralltäglicher Erfahrung konfrontiert und so »soziale Normen, Rollen und Symbole gleichsam
     neu zur Disposition stellt« (Berger/Luckmann 1977: 105). So ergebe sich in der Phase der Liminalität ein »fruchtbarer Spielraum
     für eine analytische Zerlegung von Kultur in Faktoren, für eine kreative symbolische Umkehrung sozialer Eigenschaften« oder
     gar für eine Dekonstruktion symbolischer Zuordnungen« (Bachmann-Medick 2007: 117).
    Ausgehend von seiner Frage nach dem kulturellen Ort vergleichbarer, die Spannung sozialer Veränderungsprozesse aufgreifender
     ritueller Praktiken in modernen Lebenszusammenhängen, beobachtet Turner unter den Hippies und Beatniks der fünfziger und sechziger
     Jahre das Motiv einer liminalen Selbstinszenierung (vgl. Turner 1967: 111ff.). Dieser Ausblick auf jugendkulturelle Zusammenhänge
     soll hier aufgegriffen und erweitert werden.
    Das Motiv der Versehrtheit taucht in popkulturellen Kontexten beständig, jedoch in den unterschiedlichsten Formen auf und
     greift auf verschiedene Bild- und Stiltraditionen zurück. Es lässt sich entlang der durch Turner beschriebenen Charakteristika
     der liminalen Figur deuten und übernimmt die oben ausgeführte Funktion einer Inszenierung des Fremden auf der Basis bestehender
     Symboltraditionen. Sowohl die inszenierte Autoaggression als auch die naiv-kindliche Todessehnsucht entwickeln das Motiv der
     Entrückung und der Entfremdung von den Ordnungen der Alltagswelt |125| . Der mit dem jugendlichen Körper assoziierten Perfektion, wird, am Beispiel des
Gsus-
Werbeplakats, dessen Deformation und Entstellung, jugendlicher Kraft und Lebensfülle die Selbstverletzung und Todesnähe gegenübergestellt.
     Der

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