Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Handelnde inszeniert sich damit als Außenstehender, als Unberührbarer 4 , der sich den Ordnungen des Lebens entzieht, indem er im rituellen Rahmen symbolisch die Statusfesseln ablegt und die sozialen
und/oder physischen Stigmata der Niederen auf sich überträgt.
Abbildung 4: Offizielles Pressefoto des Musikers Sufjan Stevens, Asthmatic Kitten Records
(Quelle: http://www.asthmatickitty.com/images/sufjanstevens/sufjan_pressmoxie.jpg, 03.06.2008.)
Ohne auf eine biologische Jugendphase beschränkt zu sein, bildet diese doch, möglicherweise als Ausdruck und Reaktion auf
die Spannungen der Adoleszenz, den bis ins Erwachsenenalter erweiterbaren Hintergrund zur Inszenierung der eigenen Person
als Schwellenwesen in einem Zustand »betwixt and between« (Turner 1967: 93–112).
Das Brustbild eines jungen Mannes: Seine dunklen Haare, in romantischer Manier nach vorne gekämmt, stehen in einzelnen Strähnen
leicht vom Kopf ab, als wäre er gerade aufgewacht. Sein Blick unterstreicht diese Deutung: Er schaut versonnen, vor dem Hintergrund
einer mit abstrakten Wolkenformen bemalten hellblaue Fläche, am Betrachter vorbei. Er hat den Kopf in den Wolken. Der Musiker
Sufjan Stevens trägt auf diesem offiziellen Pressefoto seines Labels ein schmales, weißes T-Shirt, das einen Comic-Charakter
zeigt. Es ist im Schulterbereich zerrissen. Entlang der |126| Naht, die Ärmel und Schulter verbindet, klafft eine Lücke in dem weißen Stoff, die die etwas dunklere Haut sichtbar werden
lässt.
Der Makel des Kleidungsstückes ist hier weder Zufall noch Nachlässigkeit. Schon die von Dick Hebdige beschriebene Selbststilisierung
der englischen Punks der späten siebziger Jahre mit Accessoires aus Abfällen und minderwertigen Alltagsgegenständen (vgl.
Hebdige 1979: 62ff.), die zerrissene und zerschnittene Kleidung, die laufmaschigen Strumpfhosen, stehen exemplarisch für eine
Inszenierung jugendlicher Versehrtheit über die attributiven Mittel des Stils. Auch bereits die durch Victor Turner angeführten
Hippies und Beatniks zeichneten sich durch ihre Affinität zu zerschlissener, einfacher Kleidung aus, die die Figur des Landstreichers,
des
Hobos
, in den Kontext der jungen, intellektuellen Bohème projizierte. Heute stehen die Schuhe und T-Shirts der Skater, die erst
in ihrer bis zur Unkenntlichkeit abgetragenen Erscheinungsform zu ihrer vollen Schönheit gelangen, ebenso in einer solchen
Tradition wie die rückwärts orientierten, biederen Secondhand-Kleider und Altherren-Anzüge, die das Auftreten vieler New-Folk
Bands prägen, um nur einige der Strategien und Erscheinungsformen einer solchen Praxis zu nennen.
Die abgetragene und zerrissene Kleidung erzeugt in diesem Zusammenhang das Motiv des Makels im Zuge der hier inszenierten
Rolle innerhalb eines popkulturellen Schauspiels. Sie bildet einen Hinweis. Der zerrissene Stoff referiert auf die darunter
liegende Hülle der Haut, die so, noch heil, in ihrer Verletzlichkeit offenbart wird. Sie markiert gleichzeitig die Person
mit dem visuellen Mal einer bestehenden oder zukünftigen Versehrtheit.
In Anbetracht dieser inszenatorischen Möglichkeiten, die mit Kleidungsstücken und Accessoires verbunden sind, wird deren Wert
angesichts ihres dahin gehenden Potentials neu bemessen. Indem sie die Selbstdarstellung als liminales Subjekt ermöglicht,
wird dem scheinbar Wertlosen und Defekten eine Wertigkeit zugesprochen, die die materielle weit übersteigt. Diese Umwertung,
die einzelne Konsumartikel im Zuge der Inszenierung erfahren, egal ob es sich um Secondhand-Kleidung, um Massenware oder auch
um Marken- und Designerartikel handelt, richtet sich nach deren inszenatorischer Potenz, die es ermöglicht, im Spielraum zwischen
allgemeinen Bildtraditionen und aktuellen Trends das Motiv des Fremden aufflackern zu lassen. Das Altmodische, Zerrissene,
Verfilzte, Billige und Fadenscheinige scheint sich dafür bestens zu eignen. Ob dabei jedoch das Alte tatsächlich alt, das
Billige tatsächlich billig ist, fällt in diesem Rahmen kaum ins Gewicht.
|127| Angesichts einer solchen Deutung popkultureller Inszenierungsstrategien mit Fokus auf deren liminalen Gehalt rückt die Frage
nach der damit einhergehenden Konsumorientierung in den Hintergrund. Die durch John Clarke und Dick Hebdige beschriebene Maschinerie
der Vermarktung, der die aggressiv-spielerisch angeeigneten und neu mit Bedeutung belegten Zeichen im Zuge ihrer Etablierung
als Stil
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