Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Stuber und Iltgen (2002: 32) besteht der Vorteil für Unternehmen, den »schwullesbischen
Markt« zu bearbeiten, einerseits darin, in der Zielgruppe selbst
First Mover Advantages
zu erzielen, also Vorteile, die daraus entstehen, als erster eine Marktnische zu besetzen und andererseits angestaubte Marken
einer Verjüngungskur zu unterziehen – denn bei einer jüngeren Zielgruppe gelten »Vorbehalte gegenüber schwulen Männern […]
als ›uncool‹« (ebd.: 41).
Von Gay Marketing-ExpertInnen wird die Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen in Mainstream-Medien und Werbekampagnen und die
damit einhergehende Normalisierung positiv bewertet, insofern als die heterosexuelle Masse an Lesben und Schwule gewöhnt wird
(vgl. Sender 2004: 7). Selbst wenn die Intention die Vermittlung von »positiven« Bildern von Homosexualität ist, sind diese
Werbebilder insofern problematisch, als sie oftmals Personen zeigen, die aufgrund ihres Status weitestgehend privilegiert
sind – so beziehen sich Werbungen meist auf junge, wohlhabende, weiße Männer (ebd.: 97).
Aus konsumsoziologischer Sicht sind neben »Lebensstilbedingungen« die individuellen »Lageebenen« zu berücksichtigen, wobei
letztere beschreiben, welche Ressourcen und Restriktionen des Handels für Individuen wirksam werden, etwa in Form von ökonomischen,
kulturellen und sozialen Ressourcen, Alters- und Geschlechtsrollen, regional-residentiellen Bedingungen, Milieuzugehörigkeiten
und dergleichen (Lüdtke 2000: 124f.). Entsprechend gibt es auch Untersuchungen, wonach Schwule und Lesben ein niedrigeres
Durchschnittseinkommen haben und insbesondere Lesben von der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt betroffen sind (vgl.
Badgett 1997).
|161| In Bezug auf etablierte Geschlechterverhältnisse könnten Repräsentationen von schwulen Konsumenten zwar prinzipiell klassische
Geschlechterrelationen infrage stellen, da in einem heterosexuellen Geschlechtsverständnis Konsum als weiblich gilt und so
Schwule dem Bild der heterosexuellen Kleinfamilie mit männlichem Versorger und weiblicher Hausarbeiterin/Konsumentin entrückt
wären. Andererseits rekurrieren solche Repräsentationen oftmals auf das Stereotyp vom femininen Schwulen, wodurch wiederum
die Dominanz der heterosexuellen Matrix (vgl. Butler 1991) mit ihrem dichotomen Geschlechterverständnis belegt wird – was
nicht männlich ist, muss weiblich sein. Aus einer poststrukturalistischen Perspektive der Queer Theory (vgl. etwa Jagose 2001
und Brunner 2005) werden dagegen Geschlecht, Begehren und Sexualität als Effekte diskursiver Praktiken und deren Normalisierung
als Herrschaftsverhältnis verstanden. Im Gegensatz zu einer auf Identitätspolitik basierenden Lesben- und Schwulenbewegung
stellen queere Positionen Identitäten und Dichotomien infrage – eine flexible Normalisierung in spätkapitalistischen Gesellschaften
soll durch Strategien der »Veruneindeutigung« begegnet werden (vgl. Engel 2002).
Im Gegensatz dazu kann bei lesbischwulen Hochglanzmagazinen eine normalisierende Tendenz in Bezug auf einen
dominant gay habitus
erkannt werden: »[…] just as family magazines and middlebrow books cultivated a ›respectable‹ professional-managerial class
reader, so have gay media and marketing aided the formation of a ›respectable‹ gay consumer since the early 1970s« (Sender
2004: 18). Schwule Print-Magazine üben dabei eine Funktion als
key ideological markers
aus – im Sinne eines Ortes der Reproduktion und Artikulation von Geschlechterverhältnissen und Bildern vom »Schwulsein«. Sender
(2001: 75) identifiziert mit Bourdieu (1984) einen
dominant
gay habitus
, der durch Marketingpraxen und lesbischwule Publikationen konstruiert, zwar andere Formen nicht regelrecht »dominiert«, aber
dennoch in seiner breiten öffentlichen Sichtbarkeit als Referenzpunkt, wer oder was »schwul« oder »lesbisch« sei, bedeutungsvoll
ist.
Advocate
war 1967 das erste lesbischwule Magazin in den USA, das sich ausschließlich durch Werbung und den Verkauf der Hefte finanzierte
und nicht durch eine Bürgerrechtsorganisation getragen wurde (vgl. Sender 2001: 81). Nach der AIDS-Krise der Achtziger wurden
ab 1990 vermehrt Celebrities und Lifestyle-Themen behandelt und die sexuell expliziten Anzeigen in eine eigene Abonnementausgabe
abgeschoben. Dies und der wieder stärkere Fokus auf eine weiße, gebildete und urbane Mittelschicht bei den Inhalten |162| brachte große
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