Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Mordfälle innerhalb
der norwegischen Black Metal-Szene verkörpern diese Taktik (und gleichzeitig das Ideal) des
Ernst machens
. Was vorher nur in einer dem Metal oft inhärenten Horror-Ikonografie visualisiert wurde, fand in den neunziger Jahren seine
Verwirklichung. Der Black Metal selbst bietet in seiner Gesamtheit (Sound, Bild, Ideologie) ein Bedeutungsfeld rund um die
Todesmetapher. Der Tod steht symbolisch für die Stärke des Außenseiters, der einer Konsenswelt zu entfliehen vermag. Der Tod
als Grenze zum Alltag, als mannhaftes Symbol einer übermächtigen Gestalt, die sich gesellschaftlichen Tabuisierungen vom Tod
nicht beugt, sogar vom Tode unbezwingbar scheint. |180| Der Begriff der Marter, wie Foucault ihn verwendet, scheint, bezogen auf die Form der Gewaltanwendung als tragender Bestandteil
der Ikonografie des Bösen, passend. 11 Die Marter als »düsteres Fest der Strafe« (Foucault 1977: 15), beruht auf einer »quantifizierten Kunst des Schmerzes« (ebd.)
und muss einige Hauptkriterien erfüllen, um Marter zu sein. Sie muss eine bestimmte Menge an Schmerzen erzeugen. Der Tod ist
eine Marter, wenn er Anlass und Abschluss einer »kalkulierten Abstufung von Schmerzen« (ebd.) darstellt. Die Einstellung zum
Tod ist heute eine andere als zu Zeiten des
Ancien Régime
, als Martern ein legitimes Mittel der Strafe darstellte. Die Verachtung des Körpers hängt mit dieser Einstellung zusammen,
die durch christliche Wertungen sowie demografische und biologische Situationen, wie »Verheerungen von Krankheit und des Hungers,
die periodischen Massaker der Epidemien, die ungeheure Kindersterblichkeit, die Labilität der bio-ökonomischen Gleichgewichte,
hervorgerufen wurde« (ebd.: 72). Diese Vertrautheit des Todes lässt Rituale entstehen
,
»die ihn integrieren und annehmbar machen, seiner ständigen Aggression einen Sinn verleihen sollten« (ebd.). Der Diskurs einer
öffentlichen Moralität, welcher das Empfinden von Angemessenheit einer Gewaltanwendung bestimmt, wird ersetzt durch die körperliche
Marter, bei der die Abschreckung durch Formen des Terrors funktioniert, dessen Bilder »sich ins Gedächtnis der Zuschauer eingraben
wie das Brandmal auf die Wange oder Schulter des Verurteilten« (ebd.: 141).
Heute ist der Tod aus dem Leben verbannt, somit wirkt die Marter maßlos und barbarisch – ein wichtiger Grund, sie in den düsteren
Bildwelten diverser Musikgenres neu zu beleben. Der (gewaltsame) Tod als die endgültige Standardverletzung. Genauso ist die
Marter als Bestrafungsmethode Andersartiger/Andersgläubiger bildgewaltig wieder aufgetaucht: Abu Graib, Nick Berg und die
Amokläufe in Tuusula, Blacksburg und Illinois (sowie
torture porn
als wiedererstarktes, ironiefreies filmisches Mittel), fiktionalisieren sich über die mediale Präsentation. Diese Martern
sind der unbeschriebene Teil der Repressionsapparate, dessen Sichtbarmachung über eine neue Form der Bildberichterstattung
stattfindet (Internet, Amateurfotografie). Die Gemarterten werden zu Bildikonen jetmöglicher Interpretation und ihre Vollstrecker
werden zu Ikonen des Bösen stilisiert. Allen voran Varg Vikernes, der als Count Grishnackh die Ein-Mann-Band
Burzum
betreibt |181| und 1994 wegen Mordes an einem anderen Mitglied der Black Metal-Szene zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Mit der Verwirklichung
der bösen Tat, wird die Trennung von Theorie und Praxis, sprich eine Symbolwelt zu kreieren, die auf symbolischer Ebene bleibt
und der Transfer zur bösen Tat nicht vorgesehen ist, aufgehoben.
Der Ikonografie
Burzums
und des Black Metal dieser Zeit bedient sich der Black Metal, aber auch viele andere Musiker und Musikfans, noch heute, um
dem Anspruch des absolut Bösen 12 gerecht zu werden. Ähnlich dem vermeintlichen Echtheitsanspruch der Pornografie über den realen Akt des Beischlafs, wird
hier der Horror, mit Referenzen zum Horror-, Gore-, Splatterfilm, Wirklichkeit. Der Starkörper, wie der von Varg Vikernes,
wird zum Symbolträger und verleiht Musik und Selbstpräsentation eine Aura des Bösen, die nicht nur Klischees und Urängste
einer christlich geprägten Gesellschaft wecken soll, sondern diese auch in die Wirklichkeit transportiert. Diese Hybridisierung
der Metal-Ikonografie mit der Echtheit der bösen Tat bietet Musikern und Fans die Möglichkeit zur Partizipation und Selbstaufwertung,
indem diese durch Echtheit »geadelte« Ikonografie individuell genutzt wird.
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