Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
intentional künstlerisch gemeint sind oder nicht, sei erst mal
dahingestellt.
DD: Die Netzkunst der neunziger Jahre wollte ja in erster Linie soziale Modelle einbringen, soziale Plastiken entwerfen, sodass
im Prinzip alte, nämlich neo-avantgardistische Formen eine mediale Grundlage bekommen. Das ist eigentlich daran gescheitert,
dass es dann alle gemacht haben und zwar als Geschäftsmodell, nicht mehr in einem künstlerischen Sinne. Die zweite Strategie
war die von Leuten wie www.jodi.org – aufzuklären über die Programmiertheit, was im Grunde altmodernistisch ist: Ob man nun
weiß, ob ein Gemälde aus Leinwand und Farbe besteht, wie es dem
high modernism
wichtig war, oder ob man darauf verweist, dass eine Netzanwendung aus Binärcodes oder Hexadezimalcodes besteht, läuft auf
eine ähnliche Geste hinaus. Deshalb finde ich auch, genau wie Olia Lialina, eine Kollegin von mir aus Stuttgart, dass die
interessantesten Entwicklungen, die es zur Zeit im Netz gibt, eher unter den Namen
digitale Folklore
fallen sollten als unter Netzkunst, obwohl |188| so eine Unterscheidung in diesem Falle ähnlich prekär ist wie andere High/Low-Grenzen.
In jedem Fall gibt es eine Differenz zum klassischen Projekt. Was man aber auch bedenken muss, ist natürlich, dass die Akteure,
welche an solchen Dingen beteiligt sind, wie es oft bei populären Kunstformen vorkommt, nicht so richtig wissen, was sie tun.
Und damit ergibt sich auch wieder dieses merkwürdige Phänomen, dass dann die Kunst kommt und beschützen, präparieren oder
konservieren will. Es gibt eben eine – ich nenne es mal ruhig so – spektakuläre Form von Partizipationskonsum, der im Grunde
genommen die Beteiligten komplett entmündigt oder sie an Konsumprozesse anschließt. Es gibt so einen Irrsinn, der quasi parallel
dazu besteht. Man könnte sich beispielsweise jemanden vorstellen, der komplett von Amazon-Verweisen und ihrer Struktur sozialisiert
ist. Dann ist es zwar sehr schwer, über Amazon hinauszukommen und es besteht die Gefahr, in irren Wissenswelten zu verschwinden;
es kann aber auch sein, dass darüber dieses irrsinnige Zeug, das in dessen Kopf nach einer neuen, lateralen Logik sich sedimentiert,
ganz tolle Ergebnisse zeitigt. Beides, also asozialer Wahnsinn durch virtuelle Partizipation und dessen reale, intellektuelle
und soziale Konsequenzen sind aber natürlich mit der Tatsache verbunden, dass da vor allem eine Konsumkultur aufgebaut wird.
Das finde ich durchaus interessant, aber es sind unmündige, oktroyierte Logiken einerseits und eine emanzipative andererseits,
die eng miteinander verwoben sind.
Im Bezug zur Frage also, was die Kunst tut oder was die Kunst tun kann, denke ich, dass vieles darauf hinausläuft, dass dem
körperlich vereinzelten, im globalen Datennetzwerk vergesellschafteten Subjekt wieder eine räumliche Dimension zur Seite zu
stellen ist. In diesem Kontext spielt man bereits Computerspiele, in denen man sich im Raum bewegt, mit Tennisschlägern den
Schlag führt, im größeren Stil auch mit GPS-Geräten, Geländespiele wie Gotcha und so weiter. Dies aber eben kombiniert mit
Netzstrukturen und körperlich anwesenden Personen. Das ist eine Entwicklung, die bevorsteht.
BR: Für alle Online-Netzwerke gilt, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem ich aus dem Netz heraus in den materiellen
Raum gehen und Leute
face-to-face
treffen möchte. Die Funktion von Bildern in Medien verändert sich auch entscheidend: Sie werden zunächst einfach als fluider
Kommunikationsschmierstoff produziert. Bei ihnen ist die Ästhetik erst einmal nicht wichtig, was man ihnen vielleicht auch
ansieht.
|189| DD: Ein Problem ist dabei, dass bei einer solchen visuell geführten Kommunikation, bei der Bilder lebende Personen ersetzen,
nicht nur die Bilder, sondern auch das andere Material oft dazu tendieren, sehr, sehr konventionelle Bilder und sehr, sehr
konventionelle Umgangsformen zu reaktivieren und zu bezeichnen. Das ist ja auffällig, dass dort, wo man eine Komponente eines
vertrauten Zusammenhangs technisch neu organisiert, dass dann in besonderem Maße auf Konventionelles zurückgegriffen wird,
eben auf Erlerntes.
BR: Bei der HDR-Fotografie 1 zum Beispiel…
DD: Das ist wahnsinnig konventionell. Aber nicht, weil die Leute so konventionell sind oder weil sie Spießer sind, sondern
weil es mit der Situation zu tun hat. Denn wenn die Stabilität fehlt, greift man auf
Weitere Kostenlose Bücher