Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Antworten ist nicht allein im Netz heimisch. Zeitgenössische Kunst kann ebenfalls als Dialog verstanden
werden, in dem KünstlerInnen auf die Arbeiten anderer Personen reagieren oder Vertreter-Innen sozialer Bewegungen beziehungsweise
bestimmter Schulen sich mit ihren Äußerungen auf die Aktivitäten anderer Gruppen beziehen. So kann der Stil von Jasper Johns
und anderen Popart-Künstlern als Response auf die abstrakten impressionistischen Kunstrichtungen verstanden werden oder auch
Godard als Reaktion auf das narrative Hollywood-Kino und so weiter. Bei YouTube wäre also Godards Videoantwort eine Entgegnung
auf das klassische Erzählkino Hollywoods, die Studios in Hollywood haben jedoch bislang nicht darauf reagiert. Dies zeigt,
die Bezüge zwischen KünstlerInnen und Schulen bilden kaum echte Dialoge. Äußerungen produzieren zwar Entgegnungen, in den
meisten Fällen bleibt es aber dabei. In den achtziger |203| Jahren beschleunigte sich der Austausch etwas, und die ersten Formen von Interaktivität wurden erprobt. Etwa in Musikvideos,
in denen die Einflüsse aus Film und Fernsehen aufgegriffen wurden, ähnlich wie heute Computerspiele die narrativen Elemente
des Kinos integrieren. Aber diese Austauschprozesse sind nicht vergleichbar mit der Kommunikation von Individuen, die über
mediale Kanäle vernetzt sind. Denn damit können sich Personen spontan und unmittelbar ansprechen, in welcher medialen Äußerungsform
auch immer. Sie wenden sich hier an andere Menschen und nicht in erster Linie an eher anonyme Akteure wie professionell agierende
Produzenten oder Institutionen.
Ist Kunst nach dem Web 2.0 noch möglich?
Können professionell agierende KünstlerInnen, Video- und MedienkünstlerInnen eingeschlossen, aus der geschilderten explosionsartigen
Vervielfältigung medialer Inhalte und ihrer steten Verfügbarkeit auf den Publikationsplattformen einen Nutzen ziehen? Bieten
die Online-Umgebungen, bei denen auch eine Gebühr für die Inhalte erhoben werden kann, einen wertvollen Verbreitungskanal
für ihre Arbeiten? Oder lässt die Welt der sozialen Netzwerke professionell geschaffene Kunst irrelevant werden, weil viele
hundert Millionen UserInnen Bilder und Videos hoch- und herunterladen, die sich dann rapide zwischen verschiedenen Personengruppen,
auf unterschiedlichen Geräten und in beliebigen Kontexten bewegen? Bisher haben zeitgenössische Künste immer erfolgreich die
Herausforderungen neuer Techniken gemeistert. Wie werden sie die grundlegende Demokratisierung des gestalterischen Bereichs
und den freien Zugang zu dieser Bühne verkraften?
Einerseits ist diese Frage bedeutungslos, denn nie zuvor war es um die finanzielle Situation moderner Kunst so gut bestellt.
Sie ist kein exzentrisches Interesse einiger weniger, sondern vielmehr eine Form der Massenkultur mit oft vergleichbarer Reichweite
wie andere Massenmedien. Kunst ist sogar zu einem anerkannten Investitionsfeld geworden, in das daher viel Kapital fließt.
Mit der Globalisierung und dem Aufstieg des Internets ist zugleich eine stete Zunahme der mit zeitgenössischer Kunst befassten
Institutionen zu beobachten, und weltweit werden die in westlichen Nationen anerkannten Werte übernommen. So finden sich in
Shanghai gleich drei |204| Museen für moderne Kunst sowie Ausstellungsflächen, die größenmäßig diejenigen in New York und London übertreffen, und Stararchitekten
wie Frank Gehry und Zaha Hadid errichten Museen und Kulturzentren auf der Insel Saadiyat in Abu Dhabi.
Im Netz der sozialen Medien führte das beispiellose Wachstum der Nutzerzahlen zu zahlreichen Innovationen, wobei die typischen
Videotagebücher oder AMVs bei YouTube nicht die Speerspitze sein mögen. Sie zeigen jedoch, wie Medien demokratisiert und für
größere Gruppen verfügbar werden, genau wie zuvor Film, Video, aber auch die computerisierte Grafik- und Textverarbeitung.
Viele Projekte stehen nicht in Konkurrenz mit den großen kommerziellen Produkten, aber KünstlerInnen erkunden häufig Neuland,
das zuvor nicht von den gängigen Inhabern symbolischen Kapitals gesichtet wurde.
Wer unternimmt nun solche Anstrengungen? Dies sind sowohl Amateure,
prosumer
als auch
pro-ams
, meist junge Fachleute, Auszubildende oder StudentInnen. Der Aufstieg des Web als neues Universal-Kommunikationsmedium seit
1990 bedeutet inzwischen in fast allen kulturellen Feldern, dass für Medienschaffende und Unternehmen, unabhängig von
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