Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
formulierten Eigenheiten an, während Taktiken vermehrt den ursprünglich für Strategien formulierten Kriterien entsprechen.
Das heißt jedoch nicht zwangsläufig, dass Taktiken und Strategien einfach ihre Seiten gewechselt hätten. Mit Blick auf die
von NutzerInnen bereitgestellten Inhalte ergibt sich bereits ein etwas anderes Bild – etwa ausgehend von der geschilderten
Beobachtung, dass subkulturelle Ausdrucksformen systematisch in marktfähige Produkte überführt werden.
Den in Subkulturen aktiven Personen bleibt dies selbstverständlich nicht verborgen. Denn sie agieren nicht im leeren Raum,
sondern bilden selbst eine Synthese angeeigneter und rekombinierter Zeichen, die sie aus früheren Ansätzen übernehmen und
die einer früheren gruppenspezifischen |201| Konsumkultur zuzurechnen sind. Das lässt sich mit den bereits eingeführten AMVs belegen. Sie stehen exemplarisch für das neue
Verhältnis von Taktiken und Strategien, da sich die Szene auf Mainstream-Medienseiten manifestiert, also nicht im eigentlichen
Sinne flüchtig und undurchschaubar ist: Schließlich zeigt die Plattform sie auf einen Suchbegriff hin an, listet die Zugriffe
und die daran interessierten NutzerInnen wie auch deren Wertungen. Zugleich sind sie inhaltlich das Resultat von neu kombinierten
Ausschnitten kommerzieller Zeichentrickclips und Musik. Dies heißt nicht zwangsläufig, dass AMVs keine kreative Leistung darstellen
und man ihnen jegliche Originalität absprechen könnte. Die hier geleistete Kreativität ist aber eine andere, als man sie mit
dem hergebrachten Verständnis von Neuschöpfungen erwarten würde. Mit den Worten von de Certeau könnte man sie taktische Kreativität
nennen – im Zuge der aktiv praktizierten Aneignung verwandelt sie die mediale Umwelt in eine eigene.
Medienkommunikation
Bis hierher wurden Medien mit bekannten Begriffen diskutiert; Begriffe wie Inhalte, Kulturleistungen und -konsum, die sich
jedoch im Umfeld der Praktiken im Web 2.0 wandeln. Beobachtbar sind aber auch neue Arten der Kommunikation, die keine klare
Trennung von Inhalt, Meinung und Unterhaltung mehr zulassen. So beispielsweise in Weblogs, deren Einträge häufig aus anderen
Quellen übernommen und aus persönlicher Sicht kommentiert werden. Aber auch Webseiten, die mit angefügtem Kommentarfeld zur
Diskussion anregen, die dann eine nicht vorhergesehene Richtung einschlägt und mitunter nichts mehr mit dem ursprünglichen
Ausgangspunkt zu tun hat. Häufig werden Inhalte, Nachrichten oder mediale Produktionen dabei auch zu symbolischen Zeichen,
die vor allem den Fortgang der Diskussion sichern. Ihr eigentlicher Inhalt ist dann weniger wichtig als ihre universelle,
abstrakte Zeichenfunktion. So werden bei Facebook oder MySpace Bilder eingestellt, die sich aufeinander beziehen, als eine
»Gabe« oder ein Zeichen der Aufmerksamkeit. Welcher Art ein solches Geschenk, ein Bild oder ein Kommentareintrag ist, ist
also weniger wichtig als die Geste, eines zu vergeben oder zu bekommen. Im Netz geschieht dies häufig im direkten Zusammenhang
mit den bereitgestellten |202| medialen Produktionen: Ein Foto wird mit einem Bild kommentiert, ein Video mit einem anderen Clip beantwortet. 15
Dies allein bildet aber noch kein Novum, sondern ist ebenso in einem Seminar vor Ort denkbar. Das Netz jedoch erlaubt eine
solche Diskussion auch unabhängig von Raum und Zeit, indem der geographische Ort, von dem aus eine Person daran teilnimmt,
unerheblich wird, genauso wie der Zeitpunkt an Wichtigkeit verliert, zu dem eine Reaktion erfolgt. Zudem verlaufen im Web
Millionen dieser Diskussionen parallel. Dieser Austausch ist kein avantgardistisches Phänomen, denn 89 Prozent der amerikanischen
Jugendlichen geben an, dass sie zumindest zeitweise eine Reaktion auf ihre eingestellten Fotos erhalten. 16 Diese Funktion, Kommentare einzubringen, ist für die meisten Plattformen daher elementar. Die Webseite bietet so unmittelbar
die Option, auf ein Video mit einem anderen Clip zu antworten. So wurde das fünfminütige Video des Kulturanthropologen Michael
Wesch mit dem Titel »Web 2.0 – the Machine is Us/ing Us« innerhalb eines Jahres mehr als viereinhalb Millionen Mal betrachtet
und führte zu 28 Video-Antworten. Darunter waren teils einfache, halbminütige Statements, teils aber auch längere, elaborierte,
theoretisch fundierte und technisch sorgfältig produzierte Videos zu finden. 17
Eine solche Kultur von
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