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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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erklärte ich meine Lage. Ronni schwieg ziemlich lange. Länger, als ich erwartet hätte. Er sprach langsam und abgehackt: »Sieh zu, wie du dich allein befreien kannst, André… Ich bin nicht imstande, dir zu helfen… Du weißt, ich habe keinen Raumanzug hier und kann nicht herauskommen… Außerdem ließe sich die Durchgangstür gar nicht öffnen… Zwischen deiner und meiner Hälfte besteht doch ein Luftdruckunterschied… Darum mußt du selbst versuchen, dich zu retten… Ich kann dir nur mit meiner Stimme helfen… Das wenigstens kann ich…«
    Und er verstummte. Mein Verstand sagte mir, daß er vollkommen recht hatte, aber meine ganze Psyche wurde durch den Gedanken gelähmt, daß auch Ronni mir nicht helfen konnte. Das war das Ende. Wie betäubt lag ich auf dem Boden und registrierte apathisch die Zunahme des Drucks auf meinen Beinen. Die Luft in den Ballons gab mir noch zehn Minuten Lebenszeit, und im Moment hatte ich keinen anderen Wunsch, als diese Minuten in Ruhe und ohne Aufregungen hinter mich zu bringen. Später wurde mir klar, daß diese idiotischen Gedankengänge auf den Schock zurückzuführen waren, damals aber erschien mir das alles ganz natürlich und unabänderlich. Plötzlich störte mich etwas aus meiner schläfrigen Ruhe auf: Ronni sprach, und unwillkürlich horchte ich auf seine Stimme… »Was ist mit dir, André… Melde dich, André… melde dich, Bruderherz…« Es wäre niederträchtig gewesen, zu schweigen. Außerdem durchdrang mich plötzlich die pathetische Überzeugung, ich müsse mich von Ronni und durch ihn von der gesamten Menschheit, vor allem aber von Renata, verabschieden. Von meiner kleinen Reni mit der feinen, klugen Stimme, die mir sicherlich noch immer nicht verzeihen konnte, daß ich die Stellung auf dieser Station so übereilt angetreten hatte. Mühsam öffnete ich meine trockenen Lippen: »Weißt du, Ronni, wie es aussieht, wirst du Renata Trost zusprechen müssen… Die Havariekommandos sind sicherlich schon unterwegs zu uns, und die Luft in deiner Hälfte wird noch für ein paar Stunden reichen. Leb also wohl. Wie es aussieht, werden wir nun unsere gemeinsamen Pläne nicht mehr verwirklichen…«
    Ich spürte, wie banal das alles war und was für pathetische Dummheiten ich da verkündete, kam aber nicht dagegen an. Ronni schwieg. Dann begann er zu sprechen, und es klang, als denke er laut: »So steht es also…« Er verstummte von neuem und redete plötzlich hastig und entschlossen auf mich ein, als fürchte er, unterbrochen zu werden: »Hör mir zu, André, hör gut zu. Ich muß dir etwas sagen. Ich glaube, es ist besser, wenn du vor deinem Ende alles erfährst. Die Geschichte ist ganz einfach und so alt wie die Welt, André. Deine Renata wird wohl weniger Kummer als Erleichterung verspüren, denn sie gehört mehr mir als dir. Mit einem Wort: Bereits acht Monate nach eurer Hochzeit packte Renata und mich eine unüberwindliche Leidenschaft füreinander. Aber du warst zu sehr mit deinen eigenen Gefühlen beschäftigt, um die der anderen um dich herum zu bemerken. Ich habe immer in deinem Schatten gestanden, André. Vielleicht wartete ich deshalb so geduldig auf meine Stunde… Jetzt ist deine Stunde gekommen, André – aber für etwas anderes…« Und er verstummte.
    In mir krampfte sich alles zusammen. Mein Gehirn verwandelte sich in ein schmerzendes Neuronenknäuel und versuchte, Antworten auf Fragen zu finden, die es selbst nicht formulieren konnte. Dann zerriß etwas in meinem Innern, und Ruhe trat ein. Eine schreckliche, irrsinnige Ruhe. »Wie denn?« fragte ich. »Sicherlich war sie aus irgendeinem Grund mit mir unzufrieden.« Ich sagte das ganz ruhig, innerlich aber erstarrte ich bei dem Gedanken an dieses unwahrscheinliche, heuchlerische Jahr, das ich mit Renata verbracht hatte… Auch heute noch stelle ich mir in Erinnerung an diesen Moment die Frage, wo, in welchem Winkel meines Innern sich dieses potentielle Mißtrauen, diese Fähigkeit verbarg, auch nur für einen Augenblick an das Schreckliche zu glauben. Offensichtlich war auch bei uns, der zweiten Generation, die Psychohygiene betrieb, dieser Atavismus noch nicht ganz überwunden. Dir, Kweti, mögen von der Warte der vierten psychohygienisch geschulten Generation viele dieser Dinge unglaubhaft vorkommen, aber so war es nun einmal. Ja, ich betrachtete das, was ich da hörte, als plötzlich zutage tretende Wahrheit und empfand keinerlei Zweifel. Es kam mir vor, als wäre mein Glück mit Renata zu rosig

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