Kontinuum des Todes
der Insekten verstummte für Sekunden, setzte dann aber wieder ein. Auf Kopf und Schultern brannte die Sonne herunter und verstärkte seinen Kopfschmerz noch. Als sich die kleinen Hämmer in Dampfhämmer verwandelten, wandte Varl sich um und stolperte nach wenigen Schritten über einen Mann, der im Gesträuch vor ihm lag.
Eine Kamera in der Hand, erhob sich Sam Mboto trotzig.
»Sie spionieren?« Varl starrte auf die Kamera, auf das Tondbandgerät, das der Mann um den Hals trug. »Was hoffen Sie denn noch zu finden?«
»Die Wahrheit.«
»Die habe ich Ihnen gesagt.«
»Die tatsächliche Wahrheit. Der verworrene Unsinn, den Sie uns erzählten, war es nicht, das wissen Sie. Ich weiß nicht, was Sie verbergen, Mann, aber ich habe vor, es herauszufinden.«
Der Reporter besaß Courage genug, um nachts zurückzukehren, sich in die Büsche zu schlagen, zu warten und zu beobachten. Auch schien Geduld seine Stärke zu sein.
Varl musterte die Blechdose, das Paket Nahrungsmittel darin, die dicht neben der Stelle lag, an der Mboto sich ausgestreckt hatte. »Wieso interessieren Sie sich so intensiv für mich? Reporterstolz?«
»Das – und mehr. Ich habe Geschichte studiert und mich besonders mit der Zeit vor der Katastrophe beschäftigt, mit der Zeit von der Französischen Revolution an. Damals fingen die Probleme nämlich an – Informationen wurden mehr und mehr manipuliert, Politiker wurden immer zynischer, Regierungen immer korrupter. Jeder weiß, was dann geschah. Und – es soll nie wieder soweit kommen!«
»Das haben die frühen Revolutionäre auch gewollt. Aber was wurde daraus? Die Leibeigenen schüttelten die Tyrannei ab und bekamen eine neue übergestülpt. Frankreich, Rußland, China …« Varl zuckte die Schultern. »Das kennen Sie ja.«
»Heute sieht das etwas anders aus«, widersprach Mboto. »Wir haben die Computer-Wahlen, Volksentscheid, Pflichtinformationen für die Öffentlichkeit. Die alten Zeiten, als vieles hinter verschlossenen Türen ausgemauschelt wurde, sind vorbei. Ein freier Informationsfluß und eine wachsame Öffentlichkeit sind die Garantie für Freiheit. Deshalb steigt uns der Geruch der Geheimnistuerei auch so unangenehm in die Nase.«
»Manchmal nur zum Guten.«
»Ja, das haben sie früher auch immer gesagt.« Mboto bohrte mit einer Schuhspitze im Sand herum. »Was dabei herausgekommen ist, wissen Sie auch – Gaskrieg, Napalm, Hungersnöte, bakteriologische Kriegsführung, kurz, die Große Katastrophe. Man hatte Wind gesät und Sturm geerntet, und die Unschuldigen sollten wieder einmal bezahlen. Das lassen wir nie wieder zu – Regierungen sind dazu da, dem Volk zu dienen und nicht umgekehrt. Manche Politiker vergessen das gern – geht das jetzt schon wieder los?«
»Nein.«
»Überzeugen Sie mich.«
»Gern«, sagte Varl. »Heute abend.«
Das Gelände war bis auf die Baracke 62S geräumt worden, die jetzt allein mitten auf freier Fläche stand. Auch das Innere hatte man bis auf einen klobigen Hologramm-Projektor freigeräumt. Als Varl und Mboto das Gebäude betraten, verstummte das leise Flüstern der Anwesenden.
»Die gesamte Besatzung der Odile «, erklärte Varl seinem Begleiter. »Ich bitte um Ihrer aller Aufmerksamkeit«, fuhr er dann mit etwas lauterer Stimme fort. »Danke. Sie sind hier zu einer Information im Zusammenhang mit unserem Projekt zusammengekommen. Einige von Ihnen mögen Vermutungen haben, andere sind vielleicht besser als ich informiert, aber eines möchte ich noch sagen: Sobald die Aufzeichnungen abgespielt werden, gibt es kein Zurück mehr. Wer noch aussteigen möchte, hat jetzt noch Zeit dazu.«
Ein Mann warf ein: »Was ist mit dem Fremden?«
»Sam Mboto? Ich hoffe, er wird unser Historiker werden. Wenn nicht, so wird er schweigen.« Varl hoffte, daß der Mann sein Versprechen hielt. Er gab dem Techniker neben dem Projektor ein Zeichen, und der legte einen Hebel um.
Als das Licht erlosch, sagte Varl erklärend: »Diese Bilder wurden in einem Raumschiff gemacht, das ein halbes Parsec von Fomalhaut entfernt treibend aufgefunden wurde. Es war die Lewanna, ein Schiff der Habor-Nezib-Linie, die von Alshain nach Sadalsuud unterwegs war. Sie hatte dreihundertundzwanzig Passagiere an Bord gehabt, plus die Besatzung. Das Schiff wurde von der Shlemach entdeckt.« Jetzt war es völlig dunkel, und Varl fügte noch hinzu: »Und das hat man darin gefunden.«
Wieder befand er sich in der Hölle.
Ein anderes Wort dafür gab es nicht.
Es konnte kein anderes Wort
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