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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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warum sie das taten und wem es gehörte! Sie könnten sich natürlich zurückziehen, aber in welche Richtung? Es war an der Zeit, sah der Kommandant ein, Mladen wieder damit zu beauftragen, das Gelände zu erkunden. Als hätte er es geahnt, stand Mladen schon bereit, angetan mit einem Tarnanzug und ausgerüstet mit einem ganzen Arsenal von Waffen. Dafür musste er auf Verpflegung verzichten und eine größere Anzahl Konserven in seinem Spind zurücklassen. Ein gut vorbereiteter Soldat, behauptete Mladen, kümmere sich nicht ums Essen, er wisse, wie er überleben könne, denn Hunderte von Pflanzen, Insekten und Früchten sorgten für eine abwechslungs- und vitaminreiche Speisekarte. Pilze habe er bewusst nicht erwähnt, sagte er, weil ihm schon beim bloßen Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenlaufe. Und in der Tat, aus seinen Mundwinkeln rannen einige Tropfen. Er wischte sie mit dem Ärmel ab, zuckte mit den Achseln und ging. Dem Kommandanten fiel ein, dass er ihm nicht die vollständige Liste der Dinge gegeben hatte, die er überprüfen sollte, doch er war trotzdem nicht beunruhigt. Bei Soldaten wie Mladen kann man sicher sein, dass sie mehr erledigen, als man ihnen aufgetragen hat. Der Kommandant berief eine Versammlung des befehlshabenden Personals ein, genauer gesagt, er lud die beiden Zugführer in sein Büro. Zunächst war er sich nicht sicher, ob er auch den stellvertretenden Zugführer des dritten Zugs einladen solle, beschloss dann aber, mit diesem später zu reden. Er lud auch den jungen Offizier nicht ein, der ohnehin nie zu sehen war und sogar während der Kämpfe verschwand. Der sei, meinte der Kommandant, reif fürs Militärgefängnis oder vielleicht fürs Krankenhaus, daher wollte er lieber nichts riskieren. Er wäre, meinte der Kommandant, nicht überrascht, wenn herauskäme, dass dieser dem Feind vertrauliche Informationen liefere, wer immer der Feind auch sein mochte, andererseits wäre es wirklich merkwürdig, wenn er als Einziger wüsste, wer der Feind war. Aber vielleicht wusste er es auch nicht, vielleicht versuchte er nur, ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln, das ihn für Menschen, die solche Bilder mögen, attraktiv machte. Der Kommandant musterte streng die sonnengebräunten Zugführer (die trieben sich doch fast den ganzen Tag an der frischen Luft herum, während er meist in seinem Büro saß), dann änderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck, und er fragte sie, ob er ihnen einen Weinbrand anbieten könne. Aber worauf sollen wir trinken?, fragte einer der beiden mit zittriger Stimme, als dürfe er sich einen Schluck nur genehmigen, wenn auf jemanden oder auf etwas angestoßen werde. Der Zweck unserer Zusammenkunft ist, sagte der Kommandant, die Voraussetzungen für einen schnellen Rückzug unserer Einheit vor einem überlegenen Feind vorzubereiten. Wir sind bereits um ein Drittel geschrumpft, wenn wir aber nur noch die Hälfte oder noch weniger sind, werden wir zu einer leichten Beute, zu Wild, das zum Abschuss oder zu einem Massaker freigegeben ist. Die Zugführer nickten einträchtig. Also, fragte der Kommandant, haben Sie Vorschläge? Der eine hob die Hand und sagte, er habe keine Vorschläge, dafür aber Fragen, und ohne die Reaktion des Kommandanten abzuwarten, stellte er gleich eine: Wo steckt der Feind? Als hätte er nur auf diese Frage gewartet, faltete der Kommandant eine Karte, die er in den Händen hielt, auseinander und breitete sie vor den Zugführern aus, als böte er ihnen exotische Früchte, etwa Kiwis oder Papayas an. Er legte den Zeigefinger auf einen roten Punkt, der nach allem zu urteilen der Kontrollpunkt war. Diese Stelle befand sich auf einer von mehreren kleinen Lichtungen, die von dunkler Farbe beziehungsweise von Wald umgeben waren. Der Kommandant pochte einige Male mit dem Zeigefinger auf den roten Punkt und antwortete: Der Feind steckt im Wald. Der Zugführer verbarg seine Enttäuschung nicht. Im Wald, sagte er, das weiß ich, aber wo im Wald? Der Kommandant schüttelte den Kopf. Wenn er das wüsste, hätte er ihn längst in die Flucht geschlagen, sagte er, aber so könne er nur mutmaßen, wie alle anderen auch. Deshalb habe er auch Mladen zur Erkundung losgeschickt, sagte er, vielleicht werde nach dessen Rückkehr alles klarer. Er sah sich den Zugführer an und schüttelte wieder den Kopf. Dieser Zugführer gefiel ihm gar nicht, aber im Krieg kommt es nicht auf das Aussehen an, sondern auf die Geschicklichkeit, und dieser, das musste er zugeben,

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