Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
Vom Netzwerk:
es Nacht geworden, und ein Soldat fragte, wo sie jetzt schlafen sollten. Die Baracke war abgebrannt, die Betten waren zum Teil angekohlt, dazu noch vom Löschwasser durchtränkt, doch selbst wenn alles heil geblieben wäre, was sollten wir tun, wenn der Feind uns wieder mit Granaten beschösse? Langsam, immer der Reihe nach, sagte der Kommandant, aber mit einem Schlag verspürte er so heftige Kopfschmerzen, dass er die Augen schließen musste. Im selben Augenblick verlor er das Gleichgewicht und wäre umgefallen, hätten Mladen und dieser Soldat ihn nicht rechtzeitig aufgefangen. Sie richteten ihn auf und setzten ihn behutsam auf einen Stuhl. Der Kommandant öffnete unter größter Anstrengung die Augen und sah, dass er sich mitten unter unbekannten Männern befand. Alle hatten Uniformen und vor allem Stiefel an, viele von ihnen trugen einen Helm auf dem Kopf. In der Luft lag Gestank von Verbranntem, von Kot und Schweiß. Der Kommandant fragte sich laut, was er hier verloren habe, aber da tauchte vor seinen Augen das Gesicht eines Menschen auf, der auf eine große Spritze deutete und sagte, es werde nicht wehtun. Von wegen, schrie der Kommandant, aber da war es bereits zu spät. Er spürte einen kleinen Stich irgendwo an seinem Körper oder vielleicht neben ihm, dessen war er sich nicht sicher, und als er die Augen wieder öffnete, war es schon der nächste Morgen. Und was für ein Morgen! Sonnig, frisch, von Blumenduft durchdrungen und irgendwie voller Versprechungen. Der Kommandant sah sich um und begriff, dass er in seinem Bett und in seiner Stube lag, nur dass über ihm anstelle der Zimmerdecke eine Zeltplane gespannt war. Der Urineimer stand nicht an seiner Stelle, und der Kommandant dachte, man sollte den dafür zuständigen Soldaten mit mindestens drei zusätzlichen Wachen bestrafen. Das Militär ist Ordnung, sonst ist es kein Militär, sagte er zu sich selbst, torkelte nach draußen, stellte sich an den nächstbesten Baumstamm und entleerte seine Blase. Er kniff gerade wonnig vor Erleichterung die Augen zusammen, als er plötzlich erstarrte. Etwa zwanzig Meter von ihm entfernt sah er nämlich eine Gruppe von Journalisten und Fotoreportern. Zuerst entdeckte ihn eine Frau in einem roten Kleid und mit einem roten Brillengestell, daraufhin drehten sich alle zu ihm und richteten ihre Kameras und Fotoapparate sowie winzige Diktafone auf ihn. Der Kommandant schaffte es mit Mühe und Not, sein Geschlecht in die Schlafanzughose zurückzustopfen, und während die Berichterstatter sich ihm langsam, aber sicher näherten, streckte er die Brust raus und rief: Keinen Schritt weiter, Sie befinden sich in einer für Zivilisten gesperrten Zone. Alles, was Sie aufnehmen, aufschreiben oder fotografieren, muss von den Militärbehörden genehmigt werden. Die Antragsformulare für die Genehmigung bekommen Sie etwas später ausgehändigt, die gesetzlich vorgeschriebene Gebühr bezahlen Sie sofort. Eine Frage, meldete sich ein hochaufgeschossener Fotograf. Bitte schön, sagte der Kommandant. Akzeptieren Sie auch Kreditkarten?, fragte der Fotograf. Aber selbstverständlich, erwiderte der Kommandant und fügte auf dem Weg zu seinem Zimmer hinzu: Wenn Sie sich umsehen, werden Sie feststellen, dass sowohl Visa als auch Mastercard unsere Sponsoren sind. Wo kommen diese Typen überhaupt her, fragte sich der Kommandant, und wer hat ihnen erlaubt, sich auf diesem Gelände zu bewegen? Deswegen werden bestimmt Köpfe rollen, dachte er, was ihn wieder an die beiden Köpfe denken ließ, mit denen die Soldaten Fußball gespielt hatten, und er verspürte eine große Scham. In Uniform und mit der Mütze in der Hand trat er wieder hinaus, aber jetzt auf der anderen Seite des Gebäudes. Nirgends sah er einen Soldaten. Es waren zwar nicht mehr viele übrig geblieben, denn fast die Hälfte war umgekommen, aber wenigstens ein Wachposten müsste zu sehen sein. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf: Was aber, wenn sie desertiert sind?, und er erbleichte. Allerdings sagte er sich sofort, dass man ihnen dies nicht verübeln könne, weil der Kampf offensichtlich schon verloren war. Seine Kompanie war halbiert, von dreißig Soldaten dürften noch sechzehn am Leben sein. So jedenfalls hatte seine Rechnung am Abend zuvor ausgesehen, bevor er einschlummerte, aber wer weiß, was für schreckliche Dinge passiert waren, während er schlief. Dann hörte er Worte, Bruchstücke eines Gesprächs, und als er um die Ecke schaute, entdeckte er alle seine Soldaten. Sie

Weitere Kostenlose Bücher