Kopernikus 5
Küche, um sich ein Glas Milch und ein belegtes Brot zu holen, bevor die Juniorenshow begann. Und die wollte er auf gar keinen Fall verpassen.
Er nahm eine Scheibe Toastbrot, bestrich sie dick mit Butter und Marmelade, legte eine zweite obendrauf, goß ein Glas Milch ein und machte sich dann wieder auf den Weg ins Wohnzimmer.
Im Flur traf er seine Mutter, die gerade vom Einkaufen zurückkam. In ihrer Tasche hatte sie Uncle Joe’s Reis (der Reis, der körniger ist als andere), Bioshup’s Country Milk (die Milch mit dem volleren Geschmack), Erdnußbutter (da werden Ihre Kinder Augen machen!) und ein paar Illustrierten.
„Na?“ fragte sie keuchend, denn der Weg zum Zulieferer im siebenundzwanzigsten Stock des Hauses (sie wohnten im vierunddreißigsten) nahm sie immer sehr mit, und außerdem bekam sie im Fahrstuhl meistens klaustrophobische Anfälle – einmal hatte sie sich sogar im Nacken des Fahrstuhlführers, Mr. Brown, festgebissen, und der hatte hinterher zwei Wochen lang eine Binde tragen müssen. „Schaust du dir heute denn nicht die Juniorenshow an?“
„Hat noch nicht angefangen“, maulte Billy mürrisch zur Antwort. Dann eilte er hastig weiter ins Wohnzimmer. Ohne sich um das zornige Geschnatter Donald Ducks zu kümmern, setzte er sich auf das Sofa und biß in sein Brot. Er sah desinteressiert zu, wie Donald einen Berglöwen verprügelte, weil er der Meinung war, seine drei kleinen Neffen würden sich unter dem Fell verbergen. Das Gerangel zwischen Donald und dem Berglöwen ging noch eine Weile weiter.
Als der Film, der den sinnigen Titel Lion Around trug, zu Ende war, hatte er auch sein Brot aufgegessen. Das Bild wurde ausgeblendet, und er beugte sich interessiert nach vorne, um dann enttäuscht wieder nach hinten zu sinken.
Ein Werbespot! Ausgerechnet. Wollte die Juniorenshow denn heute überhaupt nicht mehr beginnen?
„Können Sie nicht einschlafen?“ fragte eine sonore Stimme. „Haben Sie Atembeschwerden? Vertragen Sie das Fahrstuhlfahren nicht?“ Lange Pause, dann wurde eine rot-weiße Packung eingeblendet. „Dann werden Ihnen diese, von führenden Ärzten empfohlenen Tabletten sicher helfen. Dr. STERZ’ Spezialdragees, die Marke Ihres Vertrauens. Dr. STERZ’ Spezialdragees – die Tabletten, die Ihnen helfen !.“
„Das stimmt“, bekräftigte Billys Mutter, die eben hereinkam. „Die helfen wirklich.“ Und sofort dachte sie mit Entsetzen an die gerade überstandene Fahrstuhlfahrt und blickte sofort zu dem niederen Fernsehtischchen, um sich zu vergewissern, ob die Packung Dr. STERZ’-Dragees wie üblich dort lag. Beruhigt nahm sie das zur Kenntnis, erst dann entspannte sie sich im Sofa, um zusammen mit ihrem Sohn die Juniorenshow anzusehen.
Natürlich war das, wie sich Mrs. Carter schamhaft eingestand, eine Kindersendung, aber – ihr Herz machte einen Sprung, als er auf dem Bildschirm erschien – der Moderator gefiel ihr so gut. Er war ein Mann Mitte Dreißig, hatte blondes, gelocktes Haar, eine Adlernase und stechende, stahlblaue Augen. Ein Traum von einem Mann. Wie gebannt lauschte sie seinen Worten.
„… sind ganze Waschkörbe voller Post bei uns eingegangen, viele der angegebenen Lösungen waren richtig. Wir haben heute einen reizenden Studiogast zu uns gebeten, der aus allen richtigen Einsendungen die fünf Gewinner eines vollautomatischen Schnellfeuergewehrs ermitteln wird. Es handelt sich um …“ Die Kamera schwenkte zum roten Vorhang im Hintergrund, der sich erwartungsgemäß teilte, um eine kleine Blondine hereinzulassen, die mit langen Schritten in den Vordergrund trat. Sie hatte ein dick geschminktes Gesicht, dessen Züge man kaum unter dem Make-up erkennen konnte, dunkle Augen und war, soweit man das abschätzen konnte, etwas über zwanzig Jahre alt.
Der Moderator nahm das Mikro in die linke Hand, während er die rechte Hand vertraulich um die Schultern des Mädchens legte. „Ihr alle habt sie sicher schon erkannt, es handelt sich um – Miß Desiree Gillon. Applaus für unseren reizenden Studiogast.“ Er vergewisserte sich mit einem kurzen Seitenblick davon, daß der Tontechniker das Band mit dem Applaus zuschaltete, dann sah er wieder direkt in die Kamera hinein und damit aus dem Bildschirm heraus. „Wir freuen uns natürlich sehr, daß Miß Gillon heute nachmittag zu uns gekommen ist, denn sie steht gerade für einen Spielfilm des Senders Dallas Eleven vor der Kamera. Desiree, würden Sie uns und den neugierigen Zuschauern dort draußen bitte verraten,
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