Kopernikus 7
feststellen müssen, wie er abstumpfte, wie er die Dinge, die er hatte beobachten wollen, nicht mehr sehen konnte, wie – wie er manchmal dachte – sein Bewußtsein verblaßte, wie er sich normalisierte, wie er den Menschen und Dingen nicht mehr das ansah, was wirklich in ihnen steckte.
Das war so ein Morgen. Drei Uhr dreißig, als ihn ein Anruf aus dem Kommissariat weckte. Er rollte auf die Seite und gähnte. Seine Frau lag daneben. Halb wach, hörte er sie murmeln, daß sie sich noch einmal von ihm scheiden ließe, wenn er sich nicht einen anderen Beruf mit geregelten Zeiten suchte. Er ließ sie brummen. Griff nach dem Hörer. „Sperrle.“
„Herr Kommissar“, hörte er Brauns aufgeregte Stimme. „Bitte kommen Sie sofort in die Zentrale. Es ist etwas Unerhörtes geschehen.“
„So“, sagte Sperrle, „was denn?“
„Einsatzwagen A12“, sagte Braun mit vor Aufregung vibrierender Stimme, „ist in der Franziusstraße 112 tätig geworden.“
„Ja, gut“, sagte Sperrle, „was nichts Ungewöhnliches sein dürfte.“
„Gewiß“, war Braun fortgefahren, „die beiden Beamten, Strubel und Kahl …“
„Ah ja …“ murmelte Sperrle, noch immer schlaftrunken, der seine guten Leute kannte.
„… wurden getötet.“
Jetzt war es Sperrle, als hätte jemand sein Gehirn am Hinterkopf zusammengezogen. In den hinteren Partien. Als würde jemand brutal, gemein seine Gedanken raffen. Als würde jemand seinen Kopf hinterhältig und gemein verschließen, damit er nicht mehr denken konnte. Breit drückte er den Anflug von Wahnsinn beiseite.
„Was ist denn geschehen?“ fragte Sperrle mit fast malmender Stimme.
Der Beamte am anderen Ende der Leitung schluckte.
„Sie wurden“, sagte er, „in das Haus Franziusstraße 112 gerufen, aus dem eine Nachbarin Schreie und Geräusche hörte. Sie sind, wie wir von der Nachbarin erfuhren, in den Keller des Hauses vorgedrungen, aus dem sie Minuten später mehrere Schüsse hörte.“
„Und was wurde mittlerweile veranlaßt?“
„Wir haben alle verfügbaren Streifenwagen in die Franziusstraße geschickt. Wir entdeckten dort, wie ich schon sagte, daß Kahl und Strobel getötet wurden.“
„Sind Ihnen darüber bereits Einzelheiten bekanntgeworden?“ fragte Sperrle, der jetzt hellwach war.
„Ja, seltsam“, sagte Braun stotternd, „sie wurden, wie soll ich sagen, zerrissen. Sie wurden in Stücke gerissen, Herr Kommissar.“
„Ach, reden Sie keinen Unsinn“, sagte Sperrle. „Wurden denn dort Hunde gehalten?“
„Nein, nein, nach dem, was mir bisher zugänglich wurde, hat sich im Keller des Hauses ein riesiges Wesen aufgehalten, das den Kugeln der beiden standhielt …“
„Was ist denn jetzt los dort?“ fragte Sperrle.
„Das Haus ist von unseren Beamten abgesichert. Wir warten auf Instruktionen. Wir wissen nicht genau, wie wir vorgehen sollen.“
„Ist man bereits in das Haus eingedrungen?“ fragte Sperrle.
„Nein“, hatte Braun erwidert, „von der ersten Sondierung abgesehen.“
„Die Beamten haben sich wieder zurückgezogen?“
„Ja. Der Fall liegt seltsam.“
„Und dieses … dieses riesige Wesen?“
„Muß sich“, und wieder mußte Braun stottern, „wenn es keinen geheimen Ausgang geben sollte, noch im Kellerraum verbergen.“
„Ich werde“, sagte Sperrle nach einer Weile, „in zehn Minuten dort sein.“
„Danke, Chef“, sagte Braun, fast erleichtert.
Es war seltsam. Es regnete noch immer. Die Nacht war kalt und glitschig. Auf dem Pflaster spiegelten sich die Lichter der Streifenwagen, die in der Franziusstraße vorgefahren waren. Ein Feuerwehrwagen stand an der Seite. Ein Dutzend Männer, schlaftrunken und müde, postierte sich daneben. In der Nachbarschaft
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