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Kopernikus 8

Kopernikus 8

Titel: Kopernikus 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Stirn­lo­cke ver­birgt die Nar­be an des­sen Ur­sprung, das sil­ber­ne Haar er­wächst aus ih­ren Schul­tern und dem Rück­grat und fällt an­mu­tig her­ab. Ihr Kör­per ist schlank und hell­grau, Spren­kel ver­lau­fen ent­lang ih­ren Flan­ken. Das Haar ih­rer Schwanz­spit­ze ist fast schwarz. Lan­ge Zeit dach­te ich, ein Chir­urg hät­te einen Feh­ler ge­macht oder ihr einen Streich ge­spielt, doch schließ­lich ver­stand ich, wes­halb das so war, als ich aus der Fer­ne be­ob­ach­te­te, wie sie kat­zen­gleich mit dem lan­gen Schwanz we­del­te. Mein Kör­per be­sitzt nicht die­se ar­tis­ti­sche Ori­gi­na­li­tät. Ich has­se al­les an mir fast eben­so­sehr, wie ich al­les an El­fle­da lie­be.
    Sie spricht nur aus der Fer­ne zu mir. Ich glau­be, sie will mich quä­len. Wenn die Meis­ter un­se­ren Park be­su­chen, be­ob­ach­tet sie sie, peitscht mit dem Schwanz und ga­lop­piert weg. Manch­mal gönnt sie ih­nen auch den Vor­zug ei­nes flüch­ti­gen Blickes auf ihr sil­ber­nes Fell. Ih­re Un­zu­gäng­lich­keit macht sie zur Ge­such­tes­ten von uns al­len. Sie fol­gen ihr, sie ru­fen nach ihr, doch nur we­ni­ge dür­fen sie be­rüh­ren. Sie ist die ein­zi­ge von uns, die sich ih­rem Wil­len wi­der­set­zen kann. Doch auch die­se Frei­heit war ih­re Schöp­fung – sie sind so mäch­tig, daß sie es sich leis­ten kön­nen, mit der Il­lu­si­on von Trotz zu spie­len.
    Doch der Rest von uns, die an­de­ren Zen­tau­ren, Sa­ty­re, Nym­phen und Mee­res­be­woh­ner, wir ei­len über die Wie­sen, war­ten im Wald oder lau­fen gar auf Be­su­cher zu, da­mit man No­tiz von uns nimmt.
    Uns zu be­schwe­ren wa­gen wir nicht. Das soll­ten wir auch nicht tun, im Ge­gen­teil, wir soll­ten dank­bar sein. Man hat uns die Le­ben ge­ret­tet. Je­der von uns wä­re ge­stor­ben, hät­ten die Meis­ter uns nicht ak­zep­tiert und auf­ge­nom­men. Wir ver­dan­ken ih­nen un­ser Le­ben, und das ist die Wäh­rung, in der wir in ih­rer Schuld ste­hen. Manch­mal scheint mir die­ser Preis zu hoch, doch nichts hält mich da­von ab, von ei­nem Berg­hang her­ab­zu­sprin­gen oder gif­ti­ge Blu­men zu es­sen. Ich le­be im­mer noch.
    Die Nach­mit­tags­son­ne auf der Wie­se ist warm, da­her ge­he ich durch das ho­he Gras auf den Wald zu. Ein klei­nes Ge­schöpf flieht von sei­ner Schlaf statt, es ist eben­so über­rascht durch mei­ne An­we­sen­heit wie ich durch sei­ne. Es er­hebt sich ga­lop­pie­rend in die Lüf­te: ein klei­ner Pe­ga­sus. Im Ver­gleich zu sei­nem Kör­per wir­ken sei­ne ge­fie­der­ten Schwin­gen über­pro­por­tio­niert. Doch das ist ei­gent­lich der Grund, wes­halb ein Pe­ga­sus über­haupt flie­gen kann. Bei die­sem han­delt es sich um ein win­zi­ges Sche­cken­po­ny, das mir kaum bis zum Knie reicht. Er über­fliegt die Hälf­te der Wie­se, dann läßt er sich wie­der auf die Er­de nie­der und trot­tet da­von, wäh­rend er sei­ne Schwin­gen zu­sam­men­fal­tet. Die grö­ße­ren Pe­ga­si, et­wa in mei­ner Grö­ße, sind spek­ta­ku­lär, doch sie sind an die Er­de ge­fes­selt. Sie su­chen den Flug und kön­nen ihn doch nie­mals fin­den. Einst be­ob­ach­te­te ich einen, der mit aus­ge­streck­tem Nacken, be­ben­den Nüs­tern und hoch er­ho­be­nem Schwanz im Wind stand und rann­te und ga­lop­pier­te, doch sei­ne Schwin­gen wa­ren nicht groß ge­nug, ihn vom Bo­den zu tra­gen. Un­se­re Meis­ter be­die­nen sich ih­rer Tie­re so, wie sie sich auch uns Halb­men­schen be­die­nen – zur Ab­len­kung und um der Schön­heit wil­len. Ih­nen kommt es nicht in den Sinn, daß das Herz ei­nes flie­gen­den Pfer­des bre­chen kann, wenn es ihm un­mög­lich ist zu flie­gen.
    Der Schat­ten des Wal­des um­fängt mich mit dem küh­len Aro­ma von Pi­ni­en und Hu­mus. Der Bo­den un­ter mei­nen Hu­fen ist weich. Ich spü­re sei­nen Wi­der­stand, aber nicht sei­ne Be­schaf­fen­heit. Als ich mich zum ers­ten­mal nach der Ope­ra­ti­on, den Schmer­zen und der Hei­lung er­hob, hat­te ich kaum rich­tig ge­hen kön­nen. Ich strau­chel­te und fiel, und mir wur­den schwe­re Stra­fen an­ge­droht, soll­te ich mein hel­les Sei­den­fell ver­un­stal­ten. Da­nach ging ich lang­sa­mer und lern­te rasch. Men­schen­we­sen sind nicht

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