Kopernikus 9
fürchte ich.
Habe noch mal in meinem Tagebuch geblättert. Helen in der Vergangenheit wiederzubegegnen und ihr die Situation erst mal klarzumachen – das würde einen gewissen Zeitraum erfordern, in dem mein Vergangenheits-Ich nicht stören dürfte. Habe das optimale Datum dafür gefunden: den 19. April, jenen Tag, an dem ich auf meine sechstätige Europareise ging. Diese knappe Woche müßte ausreichen, um mein neues Leben mit Helen einzufädeln.
Ich lese gerade, daß das auch ziemlich exakt die Zeit war, von der ab sie mir verändert vorkam. Ja, seit meiner Rückkunft aus Europa, ungefähr vierzig Tage vor dem Unfall. Sie muß ihn in eben der Woche getroffen haben, diesen geheimnisvollen anderen, der sich so geschickt vor mir zu verbergen wußte, als hätte er … ALS HÄTTE ER MEIN VERHALTEN VON DAMALS IM VORAUS GEKANNT! DER IHR FAKTEN ÜBER SCHLESINGERS VERFAHREN MITTEILTE, DIE DAMALS NOCH NIEMAND WISSEN KONNTE! DEM SIE SICH SO VÖLLIG ÜBERGANGSLOS ZUWENDEN KONNTE!
Helen!!!
Es ist kein Paradoxon – in der Zeit zurückzugehen heißt, schon dort gewesen zu sein! Und dort gewesen zu sein heißt, immer wieder zurückzugehen! Es kann gar nicht anders sein! Asmodi … Gott steh’ mir bei, aber ich muß wieder zu ihm in dieses unmögliche Apartment … soll er die Unterschrift von mir bekommen, egal, wer er ist und was er davon hat!
Vierzig Tage mit Helen, die mehr sind als der Rest dieses jämmerlichen Lebens und mehr als alles, was vielleicht danach kommt. Vierzig Tage mit Helen, die keine Macht der Welt verhindern kann – DENN SIE STEHEN SCHON ZWISCHEN DEN ZEILEN MEINES TAGEBUCHS!
Und wenn es soweit ist, dann soll es irgendwo in der Wildnis enden, auf einem leidenschaftlichen Ritt in die untergehende Sonne – in einem feurigen Blitz!
Peter W. Bach & Michael A. Berger
Das Jonas-Projekt
Eins
Im Grunde war die ganze Sache ja Donovans Idee. Aber ich will nicht vorgreifen.
Ich traf den dicken Mann zum erstenmal an einem sonnigen Frühlingsmorgen des Jahres 1941 in einer verschlafenen Kleinstadt irgendwo in Louisiana. Er kam in seinem zerknitterten weißen Leinenanzug zur Tür hereingewatschelt und hievte sich schnaufend auf einen der hohen Stühle an der Imbißtheke: ein fetter, rotgesichtiger Mann, der ein wenig aussah wie W. C. Fields. Sie wissen schon, dieser Filmkomiker mit dem Strohhut und der Knollennase und dem unauslöschlichen Haß auf Hunde und kleine Kinder.
Ich wußte, daß der dicke Mann Robert F. Johnson hieß, aus Louisville kam und Schnapsvertreter war. Ich wußte so gut wie alles, was es von ihm überhaupt zu wissen gab. Vermutlich kannte ich ihn besser als meine eigene Mutter, was immer das auch beweisen mochte. Schließlich hatten Donovan und ich die letzten vier Wochen damit zugebracht, die Spur des dicken Mannes durch ein halbes Dutzend Staaten zu verfolgen. Man kommt sich zwangsläufig näher bei diesem Spielchen, wenn auch recht theoretisch – zumindest bis zum Schluß.
Ich war mir sicher gewesen, daß der dicke Mann an diesem ganz bestimmten Morgen in dieser ganz bestimmten Snackbar auftauchen würde – ich kannte mich aus mit seinen Gewohnheiten –, aber als er wirklich hereinkam, hatte ich doch Mühe, einen erleichterten Seufzer zu unterdrücken.
Ich vermied es sorgfältig, in seine Richtung zu sehen, und konzentrierte mich statt dessen einmal mehr auf die Schlagzeilen in der Morgenzeitung. Ich hatte sie in der letzten halben Stunde so gut wie auswendig gelernt: Rommel machte den Engländern noch immer die Hölle heiß, Stalin war zum Obersten Volkskommissar ernannt worden, eine weitere amerikanisch-japanische Handelskonferenz war verärgert abgebrochen worden. Doch solche Banalitäten schienen heute allenfalls Kurzmeldungen wert. Die eigentliche Sensation des Tages war das Großfeuer in Baton Rouge: fünf Schwerverletzte, Dutzende von Hotelgästen nur mit knapper Not aus den Flammen gerettet, Sachschaden in Millionenhöhe … Die übliche Katastrophenstory also, die zu einem anständigen Frühstück gehört wie Toast und Orangensaft, doch für mich hatte sie eine ganz besondere Bedeutung.
Donovan und ich waren erst vor ein paar Tagen in Baton Rouge gewesen und hatten eben jenes Hotel überprüft. Und natürlich hatten wir Robert F. Johnson aus Louisville auf der Gästeliste gefunden – auf der vom letzten Monat, aber immerhin.
Ich beobachtete den dicken Mann vorsichtig über den Rand meiner Zeitung hinweg. Er drückte umständlich seinen Zigarrenstummel
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