Kopernikus 9
den gerade die Welt zusammengebrochen ist, zwischen Donovan und mir hinaus. Im letzten Moment fiel mir ein, daß sein Frühstück noch nicht bezahlt war, und ich legte einen Dollarschein auf die Theke – Spesen selbstverständlich.
Die hagere Kellnerin mit den blondierten Haaren starrte uns mit offenem Mund nach. Sie würde ihren Freundinnen eine Menge zu erzählen haben.
Wir hatten den Wagen direkt um die Ecke geparkt. Donovan fuhr, und ich saß hinten und paßte auf, daß der dicke Mann keine Dummheiten machte. Aber danach sah er eigentlich nicht aus. Er hockte nur stumm und verzweifelt da und wischte sich gelegentlich mit diesem dreckigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Der Mann konnte einem regelrecht leid tun.
„Nun lassen Sie sich mal keine grauen Haare wachsen“, sagte Donovan nach einer Weile. Offensichtlich hatte er ihn im Rückspiegel beobachtet. „Es dauert ja nicht lange.“
Das war selbstverständlich eine barmherzige Lüge; wie barmherzig sie war, ahnten wir damals selbst noch nicht.
Zwei
Man bewirbt sich nicht bei der Firma; sie kommen auf einen zu. Ich hatte kurz vor dem Staatsexamen gestanden, als sie mich ansprachen. Ich überlegte nicht lange – was war schon die geregelte Schreibtischexistenz eines Patentanwalts, verglichen mit dem Leben voller Romantik und Abenteuer, das mir da angeboten wurde?
Dachte ich jedenfalls. Natürlich fanden sie schon bei der allerersten Sicherheitsüberprüfung heraus, daß ich mich eine Weile intensiv mit Okkultismus und den „Geheimwissenschaften“ beschäftigt hatte. Ein Jurastudent, der gleich neben den Gesetzbüchern seinen Charles Fort und ein paar Jahrgänge Weird Tales und Astounding stehen hatte, muß damals eine ziemlich seltsame Figur abgegeben haben. Möglicherweise waren sie ja gerade deshalb auf mich aufmerksam geworden.
Wie auch immer – sie steckten mich ins Narrenamt. Statt hinter wunderschönen Spioninnen herzujagen, die allesamt aussahen wie Marlene Dietrich, verbrachte ich fortan einen Großteil meiner Zeit in einem muffigen Büro von der Größe einer besseren Besenkammer. Ich teilte es mit einem wortkargen Iren namens Donovan, der ein ganz gewöhnlicher New Yorker Streifenpolizist gewesen war, bis sie bei einem Routinetest entdeckt hatten, daß er mehr Grips besaß als der Rest seines Reviers zusammengenommen.
Schenkte man dem Schild an der Tür Glauben, so waren wir die „Sonderabteilung zur Erfassung und Überprüfung außergewöhnlicher Informationen und Vorgänge“ – ein verdammt langer Name für zwei unterbezahlte Agenten, die ihre Briefe selbst tippen mußten, weil kein Geld für eine Halbtagssekretärin da war. Intern waren wir nur das Narrenamt. Jeder Geheimdienst auf der ganzen Welt hat eine solche Abteilung, wenn es auch verständlicherweise nicht gerade an die große Glocke gehängt wird.
Wir waren eine Art Müllkippe für Informationen. Auf unseren Tisch wanderten jene Tips und Hinweise, die den anderen Abteilungen zu absurd oder hirnrissig schienen, um sich damit zu befassen. Den größten Teil unserer Zeit verbrachten wir damit, all die Spinnerbriefe zu lesen, die den diversen Regierungsstellen im Lauf des Jahres zugingen.
Es gab eine erstaunliche Anzahl von mehr oder weniger originellen Irren, die glaubten, das Licht gesehen zu haben, und nun Uncle Sam daran teilhaben lassen wollten. Die Palette reichte vom sechzehnjährigen Tellerwäscher in Los Angeles, dem der Erzengel Gabriel persönlich eine unfehlbare Strategie gegen die Nazis verraten hatte, bis zum fünfundneunzigjährigen Zahnarzt aus Milwaukee, der uns detailliert vorrechnete, welche Unsummen die Navy einsparen konnte, wenn sie sich nur endlich entschloß, ihre Schiffe mit dem Perpetuum mobile anzutreiben, das er ausgetüftelt hatte. Mein persönlicher Favorit war ein polnischer Änderungsschneider in Chicago, der aus Bindfäden, leeren Konservendosen und den Teilen einer alten Nähmaschine einen Apparat konstruiert hatte, mit dessen Hilfe er lange Telefongespräche mit den Toten führte. Mit George Washington und Abraham Lincoln hatte er sich inzwischen regelrecht angefreundet; einmal war auch Pontius Pilatus an den Apparat gekommen, aber dem hatte der Pole wenig Gutes zu sagen.
Mit einem Wort: Die meisten unserer Kunden hatten nicht alle Zacken in der Krone, und gewöhnlich war das schon den ersten Sätzen anzumerken. Dennoch waren wir verpflichtet, den gesammelten Blödsinn sorgfältig zu prüfen, ehe er in den Papierkorb wanderte.
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