Kopernikus 9
– etwas Neues, Unbekanntes, Beunruhigendes. Ein leises Singen aus der Ferne, eine kaum wahrnehmbare Melodie, die nur langsam lauter wurde, näher kam und die fremdartig und vertraut zugleich klang. Dann bemerkte sie das Licht in der Nacht. Ein warmer roter Lichtschein, der schwankend auf sie zukam, unbeirrbar, so als hätte er sich gerade jenen Baum als Ziel ausgesucht, unter dem sie lag.
Monika blickte nach oben, aber der Baum war nicht mehr da. Sie wunderte sich nicht darüber, sondern wandte sich wieder dem roten Licht zu, das sie jetzt fast erreicht hatte und von dem auch die fremde Melodie auszugehen schien. Monika summte sie leise mit. Dann erkannte sie, daß jenes Licht nichts anderes war als eine helle, unstete Flamme, und sie erkannte in ihrem Schein die Gestalt einer FRAU , die jetzt schweigend neben ihr stehenblieb.
Monika wunderte sich nicht, daß sie IHR Gesicht nicht erkennen konnte, obwohl die Flamme direkt aus IHRER offenen Handfläche zu entspringen schien und die ganze Gestalt in rötliches Licht tauchte. Aber IHR Gesicht war in ständiger Bewegung, alles floß, veränderte sich.
Die FRAU setzte sich wortlos neben sie in das hohe rote Gras, SIE ließ die Flamme neben SICH auf den Boden gleiten. Und dann begann SIE zu sprechen, IHRE Lippen bewegten sich nicht, aber Monika hörte jedes Wort, so wie sie die Melodie gehört hatte, die von der FREMDEN ausgegangen war.
„Es ist schön, daß du hier bist“, sagte SIE mit leiser Stimme, „schön, weil ICH mit dir sprechen kann.“
Monika wußte nicht, was sie antworten sollte. Wo war sie – wenn nicht auf dem Schiff?
„Stell dir keine Fragen, die du nicht beantworten kannst, Monika. Du bist irgendwo weit entfernt. Vielleicht auf einem fremden Planeten, wer weiß? Vielleicht auch nur irgendwo in den Tiefen des Raumes?“ SIE machte eine weit ausholende Bewegung mit IHREM rechten Arm, die das ganze Universum zu umschließen schien.
„Weißt du, ICH habe lange versucht, euch zu erreichen, aber die Mauer um euer Ich ist stärker als MEINE Kräfte.“
„Wer bist du?“
„Spielt das eine Rolle? ICH bin nicht wie du, auch wenn du MICH so siehst, wie du es besser verstehst. Sagen wir: Vielleicht bin ICH das, was ihr immer im Weltraum zu finden gehofft habt?“
„Bist du …?“
„Frage nicht weiter, ICH bin nur gekommen, um dich kennenzulernen, um von dir zu lernen, um dich zu verstehen.“
Monika zögerte.
„Was willst du wissen?“ fragte sie schließlich lautlos.
„Wissen? Nichts. Aber ICH möchte versuchen, noch mehr über dich zu erfahren.“
Monika schloß die Augen, spürte SIE immer noch neben und in sich, und plötzlich stand ein grauschwarzes Etwas in der Ferne. Ein längliches Gebilde aus mehreren Kugeln, das ihr nur allzu vertraut war. Das Schiff. Es stand scheinbar bewegungslos zwischen den hellen Sternen, und doch wußte sie, daß es einem fernen, unbekannten Ziel entgegenflog.
„ ICH verstehe vieles“, sagte SIE , „und ICH würde dir gerne helfen. Weißt du, Monika, ihr glaubt immer, daß ihr vor eurer Heimatwelt flieht, aber in Wahrheit flieht ihr vor euch selbst. Die Erde mit ihren Problemen könnt ihr hinter euch lassen, aber euch selbst nie. Vielleicht findet ihr tatsächlich irgendwo eine neue, unberührte Welt, wer weiß? Nur wird eure Flucht damit noch kein Ende haben. Denn solange ihr das bleibt, was ihr immer wart, werdet ihr überall nur die Erde finden.“
Monika blickte der FRAU schweigend in das fließende Gesicht. Sie spürte nicht mehr das Gras unter sich, sah nicht mehr die Sterne und den Mond. Sie sah nur noch diese FREMDE , die jetzt langsam aufstand und die Flamme wieder in IHRE offene Hand springen ließ.
„ ICH muß jetzt gehen. Aber ICH wünsche dir die Kraft, aus deinem Käfig zu entfliehen. Du wirst es nicht leicht haben, Monika, denn wo das Schiff endet, enden vielleicht auch deine Chancen. Aber wenn du nicht allein bist, kannst du vieles erreichen, von dem du jetzt nur träumst.“
SIE beugte SICH noch einmal hinab zu Monika, schenkte ihr etwas Wärme aus der flammenden Hand, um sich dann langsam wieder von ihr abzuwenden.
„Nimm mich mit!“ wollte Monika schreien. „Laß mich nicht wieder allein!“ Aber sie brachte keinen Ton heraus, und doch verstand die FREMDE jedes Wort.
„ ICH kann dich nur mitnehmen, wenn du selbst die Kraft findest, alles hinter dir zu lassen. Wenn du das aufgibst, was man dir gelassen hat, um etwas Neues zu suchen: dich. Denn wenn du in den Mauern deiner
Weitere Kostenlose Bücher