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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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schwieg Rod eine Weile, um seiner aufwallenden Empörung Herr zu werden.
    „Was ist mit dir, Alter – merkst du nicht, daß wir mit dir reden? Als du hereinkamst, tauchte in meinem Acidtraum derart viel Purpur auf, daß mir davon übel wurde“, sagte ein dritter.
    „So, ihr Kuckucksjungen“, sagte Rod. „Jetzt habt ihr genug die Schnäbel aufgerissen. Ich bin öffentlich tätig, und niemand kann mich beleidigen, ohne zugleich Budd und Staat zu beschimpfen.“
    „Sie haben da meinen Sohn mit einem ganz merkwürdigen Ausdruck belegt“, meldete sich ein Mann in einem entfernteren Sessel, „würden Sie ihn mir bitte erklären?“
    „Der Kuckuck ist ein Vogel“, erwiderte Rod bereitwillig, „der dafür bekannt ist, daß er seine Eier heimlich in fremde Nester legt.“
    „So, ist er das?“ erwiderte der ältere Merite bedächtig. „Dann hat mich mein Eindruck also nicht getäuscht, daß Sie meine Familie zu kränken beabsichtigen – obwohl sie Ihnen meines Wissens niemals etwas zuleide getan hat. Ich werde im Anschluß an die Show veranlassen, daß Sie depersonalisiert werden.“
    „Entschuldigen Sie, Sir, aber das wird nicht möglich sein, furchte ich. Ich bin zwar kein Merite, gehöre aber dem Depersonalisationsbüro an und bin daher ebenso immun wie Sie.
    Ich schlage vor, wir einigen uns auf folgenden Sachverhalt: Ihr Sohn hat sich ein wenig übermütig – jedoch keineswegs in böswilliger Absicht – einen Scherz mit mir erlaubt. Daraufhin habe ich eine voreilige und unzutreffende Bemerkung gemacht, die man mir großmütig verzeiht. Dieses Arrangement ermöglicht, daß wir uns ohne größere Aufregung und Mißhelligkeiten voneinander trennen. Sind Sie einverstanden?“
    „Sie sind ein kompletter Trottel“, rief der Sohn des Meriten, „Sie mögen immun sein, solange Sie leben – wenn Sie erst tot sind, wird kein Hahn mehr danach krähen!“ Er sprang auf, schlug seinen violetten Umhang zur Seite und zog mit derselben fließenden Bewegung einen Degen mit haarfeiner My-Stahlklinge aus seiner Scheide.
    Rod riß die Hand hoch und richtete sein Armband-Amtssiegel auf den Angreifer. Der junge Mann ging in Flammen auf und war wenige Sekunden später nur mehr ein Häufchen Asche.
     
3
     
    „Trinken Sie den Wein, Mr. Lindsay“, sagte der Kerkermeister, „ich habe ein Analgetikum darin aufgelöst.“
    „Nein“, erwiderte Jeff, „ich möchte die letzten Stunden meines Lebens nicht im Zustand der Betäubung zubringen.“
    Der Wärter zuckte mit den Schultern. „Es ist so üblich“, sagte er und stellte den Krug auf den Tisch in der Mitte der Zelle, „Sie können’s trinken oder nicht, mir ist es gleich.“ Er verließ die Zelle.
    Jeffs Knie zitterten, er setzte sich auf die Pritsche. In der vergangenen Nacht hatte er nicht schlafen können; seit den frühen Morgenstunden flimmerte es vor seinen Augen, und er hörte ein Brausen in der Luft, wie einen weit entfernten Gesang.
    „Liebster Jesu, laß mich nicht im Stich – so wie wir dich im Stich gelassen haben“, murmelte er. Ein bitterer Geschmack stieg in seiner Kehle hoch.
    Das Bild von der Kreuzigung, das ihm ein Katakombenpriester gezeigt hatte, als er noch fast ein Kind gewesen war, stand blaß und schmerzlich vor seinen geistigen Augen. Das deutlichste Detail war die Wunde in der göttlichen Flanke – blutigrot mit gelb und lila verfärbten Rändern.
    Jeff schauderte und sah auf den Weinkrug; die Vormittagssonne schien durch das Oberlicht, und das Gefäß hob sich in ihr deutlich vor dem schmutzig-grauen Hintergrund der bekritzelten und beschmierten Zellwand ab. Plötzlich glaubte Jeff durch den Tränenschleier hindurch eine Zeichnung oder Gravur auf dem Krug zu sehen.
    Er erhob sich auf unsicheren Beinen und trat näher.
    Jetzt sah er es deutlich: einen großen, von ungelenker Hand in die Glasur geritzten Fisch, auf dem Bauch das PAX-Zeichen.
    „Satanas apage – süßer Christ, steh mir bei“, flüsterte Jeff. Schritt für Schritt wich er zurück, bis er die harte Kante des Feldbettes in der Kniekehle spürte. Zitternd ließ er sich fallen.
    Seine Augen brannten, durch den Schleier der ätzenden Tränen sah er den Krug in den Umrissen fließen – er veränderte unaufhörlich seine Form, quoll auf, bis er einer monströsen Fratze glich.
    Jeff kniff mehrmals die Augen zusammen, bis er das Gefäß wieder deutlich sah. Das Zeichen war unverändert vorhanden.
    Es ist nicht unmöglich, daß der Wärter einer der Unsrigen ist. Vielleicht hat

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