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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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man es richtig machen wollte, aber Tommy war sehr gewissenhaft. Er stellte sich vor, er sei eine Maschine, ein Fahrzeug – ein Pfützenspringer. Es machte nichts, daß er Beine hatte statt Rädern, und Arme und einen Kopf – so sah das Schiff, das er war, eben aus, und er saß irgendwo im Innern und steuerte die Maschine, schaute durch die Augen hinaus und bediente Pedale, Hebel und Schalter, die das Schiff in Gang brachten. Er lenkte sich an den Rand einer Pfütze, manövrierte überaus sorgfältig, bis er exakt in der richtigen Position war, er setzte zurück, stoppte ab und schob sich wieder vor, und dann schaltete er das Schiff auf Springbetrieb, trat das Beschleunigungspedal und löste den Bremsschalter. Und er flog los, wie ein Stein aus einer Schleuder, hoch, die Pfütze blitzte unter ihm dahin, und hinunter, und der Kies stieß hart gegen seine Füße, als der Boden ihm entgegenkam. Gewöhnlich gelang es ihm, die Pfütze zu überwinden. Er war an diesem Morgen erst einmal spritzend im Wasser gelandet, und er war über Pfützen gesprungen, die einen Durchmesser von einem halben Meter hatten. Demnach machte er dann eine Pause, um die einzelnen Systeme nach den gelben Defektwarnlampen zu überprüfen. Wenn alle Instrumente grün leuchteten, schaltete er auf Reisebetrieb und fuhr weiter, die Gegend methodisch nach weiteren Pfützen absuchend. Alles dies nahm beträchtliche Zeit in Anspruch, aber in dieser Sache durfte man nicht schludern – man mußte es richtig machen.
    Gelegentlich dachte er: Mama wird wieder wütend werden, aber dem Gedanken fehlte die Kraft und er wehte mit dem Wind davon. Schon das Frühstück heute morgen war etwas, das vor einer Million Jahren passiert war – der alte Gasofen, der behaglich vor sich hin zischend brannte, damit es warm war, der heiße Haferbrei, in dem dicke Klumpen schwammen, das Radio, das im Hintergrund kalt über Dinge sprach, auf die er niemals achtete, das harte, graue Licht, das durch das Fenster auf den Küchentisch fiel.
    Mamas Augen waren verquollen gewesen, und sie hatte gehustet. Sie hatte bis tief in die Nacht hinein ferngesehen und war wieder auf der Couch eingeschlafen, zugedeckt mit ihrem Tuchmantel, und sie hatte sehr alt ausgesehen, als Tommy herauskam, um sie zum Frühstück zu wecken und das summende Fernseh-Testbild abzuschalten. Beim Frühstück hatte Tommys Vater sie wieder angebrüllt, und Tommy war im Bad verschwunden und lange dort geblieben; langsam und sorgfältig wusch er sich die Hände, bis er hörte, wie sein Vater das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen. Seine Mutter tat so, als weinte sie nicht, als sie ihm seine Haferflocken anrührte und „Kaffee“ für ihn machte, dramatisch verdünnt mit einer halben Tasse kaltem Wasser und einer Tonne Milch und Zucker, „für das Baby“, obgleich sie ihn exakt so auch selber trank. Den Fernseher hatte sie schon wieder eingeschaltet, kaum daß die Schritte ihres Mannes verklungen waren, als könnte sie es nicht ertragen, wenn er stumm war. Er murmelte unbeachtet im Wohnzimmer und quälte sich durch ein Morgenprogramm für Kinder, das selbst Tommy nicht ausstehen konnte. Seine Mutter behauptete, der Fernseher liefe wegen der Zeitansagen, damit Tommy nicht zu spät käme, aber sie achtete nie darauf. Tommy mußte sie immer daran erinnern, daß es Zeit war, ihn in Mantel und Gamaschen zu wickeln und ihm, wenn es regnete, die Gummistiefel anzuziehen, damit er in die Schule gehen konnte. Er schaffte es nie, sich die Gummistiefel selber richtig überzuziehen, obwohl er es angestrengt und ernsthaft versuchte – er blieb trotzdem jedesmal stecken.
    Er hatte eben den Gipfel der Anhöhe erreicht, als die Kreissäge spotzend und stotternd verstummte; zurück blieb eine summende, vibrierende Stille. Tommy sah, daß keine Pfützen mehr vor ihm lagen, und augenblicklich verwandelte er sich in einen starken, mächtigen Landpanzer, wie sie das Fernsehen in den Kriegsnachrichten zeigte, mit Raupenketten und Rädern und einem Hovercraft-Luftkissen für ganz unebenes Gelände. Dröhnend und mit aufheulender Maschine verließ er den Kiesweg und bog in das dichte Fichtenwäldchen ein. Dem Fußweg folgend, brach er mit furchtbarer Gewalt auf seinen Raupenketten voran, walzte die Bäume nieder und preßte sie zu einer Straße, über die er hinwegrollen konnte. Aber das verschaffte ihm Unbehagen, denn er liebte die Bäume. Er sagte sich, daß die Bäume unter seinem Gewicht nur heruntergebogen würden und daß sie

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