Kopf frei
antworten. Ich komme mir vor wie eine völlig überflüssige Schallmauer.
Erika verliert sich in ihren Ausführungen, die sie einfach abblubbert, ohne Gefühl für Bernd oder sich. So verspielt sie Beziehungsglück und Gegenwart. Warum macht sie das? Viele Antworten sind denkbar. Wir streifen stichwortartig einige:
► Sie fühlt sich unbehaglich in der Nähe zu sich und anderen.
► Sie kann Stille nicht ertragen, weil sie dadurch an miese Stimmungen in ihrer Ursprungsfamilie erinnert wird.
► Sie wurde als Kind immer vom älteren Bruder an die Wand geredet und rächt sich jetzt an Bernd, der stellvertretend für ihren Bruder steht.
► Wenn sie redet, spürt sie ihre depressiven Verstimmungen weniger.
► Im Reden lenkt sie sich von sich selbst ab und merkt nicht, dass sie nichts zu sagen hat.
Hugo in der Überforderung
HUGO:
Mensch, Lotti, bei diesem Trainingspunkt trete ich nicht von einem Fettnapf in den nächsten, sondern sitze komplett drin. Ich redete – beachte die Vergangenheitsform – ständig über Abwesende auf Kosten Anwesender. Ich dachte, das würde mir guttun.
LOTTI:
Und? Hat’s dir gutgetan?
HUGO:
Wenn ich genau wahrnehme, verfestigte ich damit meinen Groll, anstatt ihn zu lösen. Tut mir also nicht gut. Außer ich versuche wirklich, ein lösungsorientiertes Gespräch zu führen. Aber dann ist der Anwesende wichtig und als Gegenüber im Fokus.
LOTTI:
Und was würdest du jetzt zu mir sagen, wenn du nicht auf meine Kosten, sondern mir zugunsten sprächest?
HUGO:
Ich liebe deine Fragen.
??? FRAGEN UND ANTWORTEN
Eigentlich haben wir doch alle gelernt, nicht auf Kosten Abwesender über diese zu sprechen. Behaupten Sie, über andere auf deren Kosten zu reden, ist legitim, wenn mir dies Kontakt zum Gegenüber erlaubt?
Ja. Denn wenn ich so über andere rede und ablästere, dann tue ich das in Wirklichkeit zu meiner Erleichterung. Und was mich erleichtert, tue ich nie auf Kosten anderer. Erleichtere ich mich nicht, entsteht Groll. Angestellte lästern über den Chef. Das tut ihnen gut und sie kommen so wieder ins Gleichgewicht. Das ist für den Chef besser, als wenn sie den Ärger herunterschlucken.
In einem Ihrer anderen Bücher, Raus aus dem Gedankenkarussell, sagen Sie, dass jedwedes Urteilen ein Hindernis ist. Widersprechen Sie sich hier nicht, wenn Sie sagen, abzulästern sei eine Möglichkeit, sich Luft zu verschaffen? Da haben Sie mich aber erwischt! Es ist so: Beides hat eine wertvolle Funktion.
Entgegen der moralischen Werte unserer Gesellschaft sind Sie also für das Lästern?
Ich bin nicht für das Lästern, sondern für die psychohygienische Erleichterung. Ich ziehe nicht über jemanden her, um ihn schlechtzumachen, sondern um keinen Groll anzustauen, der sich auch für die Zielperson schlecht auswirkte. Um schneller in den Frieden zu kommen, um Abstand zu gewinnen usw., ganz gewiss nicht, um mein Gegenüber niederzumachen.
Wenn ich jemanden anschwärze, schlechtmache und mir im Mobbinggeist Vorteile verschaffe, dann ist das fies und gemein und nicht mehr vom Verständnis dieses Kommunikationsmodells getragen und hat auch nicht den erleichternden Effekt. Dann manipuliere ich mein Gegenüber und habe keinen Kontakt zu ihm. Wenn ich irgendein Problem meinem Antagonisten gegenüber ansprechen will, aber noch zu emotional bin, dann kann das Sprechen mit einer dritten Person über den Abwesenden eine gute Zwischenstufe sein. Das Ziel des Sprechens über Abwesende ist nicht, sich hochzuheizen, sondern sich ins Lot zu bringen.
8
Trainingspunkt
Assoziationen, Wissenskonserve und Meinungskram mit Vorsicht genießen
SEI GROSSZÜGIG IM WEGLASSEN VON WISSENSKRAM UND MEINUNGEN!
Überzeugungen hat nur, wer nichts vertieft hat.
Emil M. Cioran
Wessen Kopf ist nicht voll von Erfahrungen, Erinnerungen, angesammeltem Wissen, Meinungen, stereotypen Formulierungen? Diese irrsinnige Menge an Kopf-voll-Stoff ist in der Regel permanent bereit, uns auf entsprechenden Anreiz hin anzuspringen. (Vgl. hierzu auch das Gespräch von Frau Knödel und Frau Möllich auf Seite 14 f.) Diese Verselbstständigung unseres mentalen Sammelsuriums bedeutet, dass nicht wir unseren Kopf benutzen, sondern leider umgekehrt er uns. Der Kopf drängt sich uns auf, wodurch Gegenwart, Offenheit für Neues, Freiheit und geistige Selbstbestimmung keine Chance haben. Mit scheinbar zwangsläufigen gedanklichen Verknüpfungen – eben den Assoziationen – greift das Hirn in unsere Wissenskonserve,
Weitere Kostenlose Bücher