Kopf in der Schlinge
Kälte besser angezogen war als ich. Ich trug meine braunlederne Bomberjacke, hatte aber weder Handschuhe noch Schal oder Mütze. Ich kurbelte das Fenster herunter. Er hatte in den Leerlauf geschaltet, und das Rauschen seines Funkgeräts hing in der Luft. Die Temperatur war gefallen. Ich blies mir kurz auf die Finger und drehte den Schlüssel im Zündschloß, um den Motor Warmlaufen zu lassen. Dann stellte ich die Heizung ein, was in einem VW bedeutet, einen Hebel von AUS auf EIN zu schieben. »Was gibt’s?« fragte ich.
»Ich habe heute abend sowieso Dienst, also habe ich mir gedacht, ich könnte Sie nach Hause begleiten. Ich habe vor kurzem mit Selma gesprochen, und sie hat mir erzählt, was los ist. Ich bin froh, daß Sie wiedergekommen sind. Sie hat schon befürchtet, Sie würden die Sache fallenlassen.«
»Ich war in Versuchung, glauben Sie mir. Ich wäre lieber zu Hause«, sagte ich.
»Ich kann mich noch an diese Geschichte mit Pinkie Ritter erinnern. Widerlicher alter Knacker. Hat Ihnen Margaret weiterhelfen können?«
»Soviel zu erwarten war«, antwortete ich ausweichend. »Ich fahre jetzt rüber ins Tiny’s. Margaret hat mir erzählt, daß er eine der Kellnerinnen belästigt hat, also werde ich mal hören, was sie zu sagen hat. Vielleicht ist es überhaupt nicht von Belang, aber eventuell bekomme ich ja weitere Informationen. Vielleicht hat ein eifersüchtiger Ehemann oder Freund Rache geübt. Haben Sie noch andere Vorschläge?«
»Nicht aus dem Stegreif. Sie scheinen ja ziemlich gut voranzukommen«, meinte Macon wenig überzeugt. »Am besten höre ich mich mal um und sehe, was ich herausfinden kann. Je weniger Leute wissen, worauf Sie aus sind, desto besser, oder?«
»Ganz meine Meinung. Auf jeden Fall fahre ich jetzt besser los, bevor ich erfriere.«
Macon sah auf die Uhr. »Wie lange wird es wohl dauern?«
»Nicht besonders lang. Höchstens eine halbe Stunde. Ich weiß nicht einmal sicher, ob Alice samstags arbeitet. Ich gehe einfach mal davon aus.«
»Soll ich Ihnen bis zum Parkplatz hinterherfahren? Ich kann in einer halben Stunde wieder vorbeikommen und Sie zu Selma begleiten. Wenn die Frau heute nicht arbeitet, trinken Sie eine Cola oder irgendwas, bis ich komme.«
»Das wäre mir recht. Danke.«
Ich kurbelte das Fenster wieder hoch und legte den Gang ein. Macon fuhr als erster los und wartete, bis ich gewendet hatte, damit ich ihm folgen konnte. Solange die Männer drinnen in ihre Pokerrunde vertieft waren, fühlte ich mich sicherer als den ganzen restlichen Tag.
Der Parkplatz vor dem Tiny’s stand voller Autos, Freizeitfahrzeuge und Pickups mit Campmobilaufbau. Ich manövrierte den VW in eine kleine Lücke am Ende der letzten Reihe. Macon wartete und sah mir zu, wie ich zwei Reihen weiter ging und mich durch die düsteren Lücken zwischen den Autos drängte. Am Hintereingang angekommen, wandte ich mich um und winkte ihm zu, und er fuhr mit kurzem Hupen davon. Ich sah auf die Uhr. Fünf nach zehn. Ich hatte Zeit bis halb elf, was lang genug sein sollte.
Die Samstagabende im Tiny’s waren eine rauhe Angelegenheit: zwei sich abwechselnde Live-Bands, Square-Dance, Wettbewerbe, Johlen, Geplärr und jede Menge trampelnde Cowboystiefel auf der hölzernen Tanzfläche. Sechs Kellnerinnen hetzten in einer unablässigen Prozession zwischen der Bar und den überfüllten Tischen hin und her. Ich entdeckte Alice mit ihrem auffälligen orangefarbenen Haar in der anderen Hälfte des Raumes und drängte mich durch die drei Reihen sich gegenseitig anrempelnder Zuschauer, die das Lokal bevölkerten. Ich mußte schreien, um mich bemerkbar zu machen. Sie begriff, was ich wollte, und deutete auf die Damentoilette. Ich sah ihr dabei zu, wie sie einen schwappenden Krug Bier und sechs Tequilas servierte und eine Faust voller Geldscheine einsammelte, die sie zusammenfaltete und vorn in ihr Hemd schob. Sie schlängelte sich in meine Richtung durch und nahm unterwegs Bestellungen auf. Gemeinsam stürzten wir in den Toilettenraum und schlugen die Tür zu. Die Ruhe war bemerkenswert, der Lärm aus der Kneipe um mehr als die Hälfte gedämpft.
»Tut mir leid, daß ich Sie entführe«, sagte ich.
»Machen Sie Witze? Ich bin begeistert. Das hier ist die Hölle auf Erden. So ist es an den meisten Wochenenden, und die Trinkgelder sind beschissen.« Sie öffnete die Tür zur ersten Kabine und stellte sich hinein. Dann holte sie ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Schürzentasche. »Stehen Sie Schmiere für mich? Ich
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