Kopfjagd
weiter auf das abweisende Land.
»Können wir irgend etwas tun?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Das kleinste Anzeichen einer Attacke gegen ihn, und alle sterben.«
Ich versuchte an Victoria und all die anderen in der alten casa jenseits des Flusses zu denken, aber es war mir unmöglich, selbst wenn ich mich auf Victoria allein konzentrieren wollte. Mir war kalt, es fröstelte mich bis ins Mark, und ich war unter dem alten Poncho triefnaß. Der Gurt meines Schulterhalfters rieb schmerzhaft.
Irgendwie war dies alles wie eine Art Traum. Es war nicht wirklich wahr. Ich würde jeden Moment aufwachen, aber in welche Realität? Das war die Frage.
»Wir können also nichts unternehmen?« fragte ich noch einmal. »Willst du das damit sagen?«
»Da ist noch der Priester, Señor.«
Ich ging einige Schritte weg von dem Wachtposten, der auf unserer Torseite stand. Nachita kam nach. »Er ist kein Priester«, gestand ich. »Kein wirklicher. Das weißt du doch.«
»Das spielt keine Rolle, Señor. Er ist, was de la Plata in ihm sieht. Und ich werde nicht zusehen, wie meine Dame umgebracht wird.«
»Aber er könnte sie alle ermorden«, erinnerte ich ihn. »Hast du auch das bedacht?«
Durch den Regen kam der Knall eines Schusses, von irgendwo draußen im Dunst. Der Wachtposten auf unserer Seite feuerte in Panik eine Salve dagegen. Nachita gebot ihm Einhalt, indem er ihn am Arm faßte, und wir lauschten schweigend.
»Hallo, ihr hinter der Mauer!« rief eine Stimme. »Nicht schießen!«
Wir warteten. Aus dem Regenschleier kam eine Gestalt. Es war einer der Ortsbewohner. Seine Hände waren ihm vor dem Körper gebunden. Um seinen Hals lag ein Zaumseil. Dessen Ende hielt ein Reiter. Raul Jurado.
»Señor Keogh«, rief er. »Don Tomas entbietet dem Pfaffen seine besten Grüße. Er hat Zeit bis halb eins. Und dies hier ist, um zu unterstreichen, daß es uns ernst ist.«
Er ließ das Seil fallen. Der erbarmungswürdige Mann in der Schlinge rannte stolpernd los. Jurado schoß ihn zweimal in den Rücken und war im nächsten Augenblick im Dunstschleier des Regens verschwunden.
Leute kamen mir entgegen, als ich mich wieder zur Kirche aufmachte. Dort saßen noch immer einige Leute still in den Bänken. Ich blieb unsicher stehen. Moreno kam aus der Seitenkapelle und hielt seinen Sombrero in der Hand.
»Wo ist Pater van Horne?« fragte ich.
»In der Kapelle, Señor. Er nimmt die Beichte ab. Für die meisten Leute ist die letzte schon sehr lange her.«
Ich schob ihn zur Seite und steuerte auf den Altar zu. Am Eingang der winzigen Seitenkapelle blieb ich stehen. Die Figur des Heiligen Martin de Porres stand in einer Nische in der Mauer. Direkt davor saß van Horne auf einer Bank. Eine Frau wollte sich gerade vor ihn hinknien.
Er flüsterte ihr schnell etwas zu, stand auf und kam zu mir. Er trug wieder das Chorhemd über seiner Soutane und eine violette Stola um die Schultern. Seine Ruhe war bemerkenswert, besonders, wenn man an seinen Zustand vor wenigen Minuten dachte.
Er raunte mir ins Ohr: »Ist es dringend, Keogh? Ich bin sehr beschäftigt.«
Ich faßte ihn am Arm und zog ihn zur anderen Seite der Kirche. Dort erzählte ich ihm, was sich soeben ereignet hatte.
Er hörte ernst zu und holte dann seine Uhr heraus. »Wir haben also noch eineinviertel Stunden Zeit.«
»Und keine, die wir bei diesem Theaterspiel verschwenden könnten.«
»Diese armen Teufel haben sehr viel mitgemacht, Keogh. Ein wenig Trost für sie kann wahrhaftig nicht falsch sein.«
»Ein wenig Trost, wie?« Ich zog ihm die Stola von den Schultern. »Weißt du denn nicht, was das hier versinnbildlicht? Ist dir überhaupt klar, was du da tust?«
»Wenn hier jemand sündigt, dann ich, nicht sie.« Er lächelte düster. »Ich muß schon sagen, für einen Mann, der nicht an Gott glaubt, scheint dir das Begehen einer Sünde einigermaßen zu schaffen zu machen.«
»Ach, scher dich doch zum Teufel!« zischte ich wütend und warf ihm die Stola ins Gesicht.
»Das werde ich in der Tat sehr wahrscheinlich tun müssen, Keogh.« Er lachte rauh und gewann sein altes Selbstbewußtsein für einen kurzen Moment wieder. »Verschafft dir dieser Gedanke irgendwelche Genugtuung?«
»Von so einem Schauspiel war niemals die Rede«, empörte ich mich. »Es geht entschieden zu weit. Schön, unter anderen Umständen könnte es vielleicht nützlich sein. Schließlich, Priester ist
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