Kopfjagd
Priester, was er auch getan hat. Was auch aus ihm geworden ist.«
»Genau«, bestätigte er ernst.
Ich starrte ihn an. Es brauchte seine Zeit, bis die volle Bedeutung dessen, was er da soeben zum Ausdruck gebracht hatte, in mich eingedrungen war. Und dennoch war es, als hätte ich es von Anfang an und immer schon gewußt. Als hätte ich immer schon gespürt, daß er nicht einmal nur die beiden Männer war, für die ich ihn hielt und die er abwechselnd gespielt hatte. Er war in Wirklichkeit noch jemand anderer. Ein völlig anderer.
Er legte mir eine Hand auf die Schulter, als wolle er etwas sagen. Aber ich wich entsetzt zurück und stürmte in den Regen.
Als ich im Hotel in die Bar ging, stand Moreno hinter seiner Theke und polierte mechanisch Gläser. Er starrte dabei abwesend ins Leere. Er riß sich aber sofort zusammen und stellte eine Flasche Whisky und ein Glas vor mich hin.
»Waren Sie bei dem guten Pater, Señor?« fragte er, als er einschenkte. »Ein wundervoller Mann. Es gibt sicher nur wenige wie ihn.«
»Da haben Sie recht«, antwortete ich und trank meinen Whisky.
»Der Mann ist imstande, Wunder zu wirken. Das ist bestimmt nicht übertrieben, Señor.«
»So kann man es auch sehen«, bemerkte ich bitter. »Und was, glauben Sie, wird er aus dem Hut ziehen, um diese armen Teufel zu retten?«
»Señor?« Er starrte mich mit einem verständnislosen Stirnrunzeln an.
»Wird er sie sterben lassen?« fragte ich ihn. »Oder wird er das letzte Opfer bringen? Das ist eine interessante Überlegung, wie Sie zugeben müssen.«
Seine Augen waren schreckgeweitet. »O nein, Señor, aber das doch nicht. Niemals! Das ist unvorstellbar!«
Er wandte sich von mir ab, als sei ich der Leibhaftige persönlich, und rannte hinaus. In die folgende Stille hinein sagte van Horne hinter mir: »Du scheinst ihn erzürnt zu haben.«
»Er hält dich für den auf der Erde wandelnden Christus persönlich«, höhnte ich.
Für einen Augenblick war wieder der polternde Zorn in seiner Stimme. »Verdammt noch mal, Keogh, man merkt immer noch, daß du bei den Jesuiten erzogen worden bist!«
Ich hob eine Hand. »Sehr gut. Der Kandidat bekommt diesen Punkt.«
»Also gut, würdest du mir vielleicht ein paar Minuten zuhören? Ich habe nur noch wenig Zeit, und irgendwie liegt mir daran, mich dir verständlich zu machen.«
Er holte eines seiner unvermeidlichen Zigarillos heraus, zündete es an und setzte sich an den ihm nächsten Tisch. »Fangen wir von vorne an. Ich heiße nicht wirklich van Horne. Aber mein echter Name spielt keine Rolle mehr, weder für mich noch für irgendwen. Ich habe dir erzählt, daß ich vier Jahre im Priesterseminar war und dann davonlief.«
»Auch eine Lüge?«
»Mein ganzes Leben besteht aus Lügen.« Da war wieder der alte sarkastische Humor. »Es waren fünf Jahre, Keogh. Fünf Jahre, mit Abschluß und Priesterweihe.«
Ich starrte in mein Glas, wieder brauchte die Bedeutung dessen, was er sagte, ihre Zeit, um in mich einzusickern.
»Komisch«, fuhr er fort, »aber wenn ich jetzt auf alles zurückblicke, wird mir klar, daß ich es nie wirklich wollte. Das war das Problem. Und als ich davonlief, war das Mädchen, das ich zu lieben glaubte, auch nur ein Vorwand. Ein bequemer Sündenbock, dem man fortan alle Schuld zuschieben konnte.«
Ich nahm die Flasche und mein Glas und schlurfte an seinen Tisch. Ich setzte mich ihm gegenüber. »Tut mir leid«, bekannte ich. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Höchstens, daß mir klar ist, daß ich der letzte Mensch auf der Welt bin, der das Recht hat, den ersten Stein auf dich zu werfen.«
»Hast du je daran gedacht, nach Hause zurückzukehren?« fragte er.
»Nach Irland?« Ich zuckte mit den Schultern. »Sie würden mich abknallen wie einen räudigen Hund, sobald ich nur auftauchte.«
»Ach, ich weiß nicht. Dieser Bürgerkrieg muß ja irgendwann auch wieder aufhören. Und es wird irgendeine Amnestie geben. Das ist so üblich. Du könntest an die Universität zurückkehren und dieses eine Jahr deines Medizinstudiums, das dir noch fehlt, nachholen.«
»Ein frommer Wunsch«, unterbrach ich ihn. »Das geht doch überhaupt nicht mehr.«
»Du meinst, wegen des Mädchens?« Er nickte. »Da könntest du recht haben. Es wäre sehr viel von ihr verlangt, in einer ihr so fremden Kultur Fuß zu fassen.«
»In den richtigen Kleidern könntest du keinen Unterschied zwischen ihr und
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