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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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zu steigen. Aber dann reiße ich mich zusammen, denn es nützt ja nichts. Ich bin erst vierzehn, und wo sollte ich hin, wie sollte ich zurechtkommen? Ich muss vernünftig sein. Wenn es sein muss, kann ich es auch. Vernünftig sein kann ich sogar besonders gut.

4
    Teenager brauchen viel Schlaf, das weiß jeder. Weil es wissenschaftlich erwiesen ist, dass das Gehirn im Schlaf wächst. Warum also klopft es bereits um halb zwölf Uhr vormittags an meiner Tür? Und warum wird die Tür geöffnet, obwohl niemand »Herein« gesagt hat?
    »Entschuldigung, ich wusste nicht, dass du noch schläfst.«
    Wenn ich nicht in die Schule muss, bleibe ich immer bis halb eins liegen. Mutter könnte sich eine bessere Entschuldigung einfallen lassen. Ich habe den Verdacht, dass sie als Jugendliche zu wenig Schlaf bekommen und ihr Gehirn darunter gelitten hat.
    Ich drehe mich um und ziehe die Decke über den Kopf. Die Tür wird vorsichtig wieder geschlossen. Aber jetzt kann ich natürlich nicht mehr schlafen. Wahrscheinlich war das auch beabsichtigt. »Was wolltest du denn?«
    »Erst, wenn du so weit bist, Schatz.«
    Ich steige aus dem Bett, gähne und gehe ins Wohnzimmer. Mutter steht am Fenster zum Garten. Was geht da draußen vor? Zu meiner Überraschung sehe ich, dass das Gras gemäht ist und unser gestriger Gast mit der Heckenschere einen großen Busch beschneidet. Jacob ist bei ihm und hilft, die abgeschnittenen Zweige in eine Schubkarre zu laden. Doch die Zweige sind zu groß, Jacob fällt mitsamt der Schubkarre um. Unser Gast steigt die Leiter hinunter und zerbricht die größten Zweige, damit sie leichter aufzuladen sind. Jacob bekommt einen Klaps auf die Schulter und versucht es erneut. Jetzt mit größerem Erfolg.
    »Nun sieh dir die beiden an«, sagt Mutter, ohne den Blick abzuwenden. »Erstaunlich, dass sie sich so gut vertragen.«
    Ich verstehe es auch nicht. Aber etwas anderes beschäftigt mich noch mehr. »Ich dachte, er ist heute Nacht abgehauen. Ich hörte die Hintertür zufallen und habe ihn vom Fenster aus gesehen.«
    »Er wollte wohl ein bisschen an die frische Luft. Vielleicht konnte er nicht schlafen?«
    Der junge Mann steht wieder auf der Leiter, jetzt mit einer elektrischen Heckensäge. Faszinierend, wie konzentriert er das Gleichgewicht hält; er lehnt seinen Oberkörper von der einen Seite zur anderen, und schöpft noch Kraft, um die Säge zu halten. Offenbar hat er so etwas schon früher gemacht. Eigentlich ein hübscher Kerl. Nicht sehr groß, aber breitschultrig und gewandt.
    »Wenn er sich ein bisschen besser kleiden würde, wäre er gar nicht so übel«, sagt Mutter mit einem schiefen Lächeln. Ich verdrehe die Augen und gehe in die Küche. Nehme mir Joghurt aus dem Kühlschrank.
    »Er heißt übrigens Anders«, fügt sie hinzu.
    Heißt er wirklich Anders? Der Name enttäuscht mich ein bisschen. Er sieht eher wie jemand aus, der Niclas oder Pierre heißt, denn er hat eine ziemlich dunkle Hautfarbe und sein Haar ist pechschwarz. Vielleicht stammt einer seiner Vorfahren aus Südfrankreich oder Bulgarien? Eine etwas langweiligere Erklärung könnte auch sein, dass er sich gern im Freien aufhält und daher so wind- und wettergegerbt ist.
    »Und wie geht’s der Beule an seiner Stirn?«
    »Gut!«
    Mutter hat vergessen, ihn nach der Beule zu fragen, das sehe ich ihr an. Es ist ihr nicht einmal peinlich. Aber das kann ich ja übernehmen, wenn ich gleich in den Garten gehe. Ichzwinge mich, meinen Joghurt langsam zu essen; ich will nicht, dass es so aussieht, als könnte ich es kaum abwarten, in den Garten zu kommen. Während ich esse, sitzt Mutter mir gegenüber und quasselt weiter. Aber jetzt bin ich wirklich nicht ganz fair, denn in Wahrheit hat sie noch nicht viel gesagt. Aber sie weiß ganz genau, dass ich lieber langsam erwache und mein Frühstück in Ruhe zu mir nehme.
    »Als ich heute Morgen aufgestanden bin, hatte er bereits Gras gemäht, mit einer Sense. Es gibt heutzutage nicht mehr viele junge Männer, die noch mit einer Sense umgehen können. Hinterher wollte er ein paar der Büsche am Haus beschneiden, ob ich einverstanden wäre. Natürlich war ich einverstanden. Warum hätte ich ihm dieses Vergnügen auch nehmen sollen?«
    Sie ist begeistert von Anders. Abgesehen davon, dass er sich um den Garten kümmert, kann er fantastisch mit Kindern umgehen, das ist ganz klar. Sie ist wirklich beeindruckt von dem engen Kontakt, den er in dieser kurzen Zeit zu Jacob aufgebaut hat. Sie reden so vertraut miteinander,

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