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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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als seien sie bereits seit langem die besten Freunde.
    »Das klingt ja alles ganz gut und schön, aber was will er hier?«
    »Das Haus und der Garten bedeuten ihm viel, Emilie. Er war glücklich hier, bis seine Eltern starben. Er hat mir gestern davon erzählt. Sie sind ertrunken.«
    Jetzt wird’s interessant, ich lege den Löffel beiseite.
    »Ertrunken? Wie?«
    »Das habe ich ihn auch gefragt, aber er hat mir keine Details erzählt, und ich wollte ihn nicht quälen. Nach dem Unfall wohnte er eine Weile allein in dem Haus; er ging nicht mehr unter Menschen, wollte niemanden sehen, kümmerte sich nur noch um den Garten. Nur darauf konnte er sich konzentrieren. Ich habe ihn natürlich gefragt, warum er hier nicht geblieben ist. Aber er konnte die Miete nicht bezahlen, darum hat Frau Larsen ihm gekündigt.«
    »Hat er keine Geschwister oder Verwandte?«
    »Offenbar nicht.«
    Ich nicke, jetzt begreife ich alles ein bisschen besser. Trotzdem verstehe ich es noch nicht ganz.
    »Er hat gestern Abend davon gesprochen, dass er in den Garten gegangen sei, weil er zufällig in der Nähe war. Was meinte er damit? Hat er hier irgendwo jemanden besucht?«
    »Ich habe vergessen, ihn danach zu fragen.«
    Ich bin nicht sonderlich beeindruckt, von dem, was Mutter ihm entlockt hat. Sie haben den größten Teil des Abends zusammengesessen und sich unterhalten. Wir müssen doch wissen, wer er ist. Es reicht nicht, dass er Anders heißt und gar nicht so übel aussähe, wenn er sich besser kleiden würde. Höchste Zeit, dass ich mich darum kümmere. Ich spüle die Joghurtschale ab, gehe ins Bad und ziehe mich an. Dann trete ich mit einer Tasse Tee auf die Terrasse. Jacob ruft sofort nach mir und zeigt mir, wie viele Zweige er in die Schubkarre geladen hat. Ich lobe ihn sehr. Aus den Augenwinkeln beobachte ich unseren Gast, der sich Anders nennt. Als unsere Blicke sich kreuzen, winken wir uns zu. Ich stelle die Teetasse ab und gehe auf ihn zu, will ihn nach seiner Beule fragen. Aber er kommt mir zuvor und fragt mich nach der Schule. Er möchte wissen, in welche Klasse ich gehe, und dann erkundigt er sich, wie ich mich fühle, so auf dem Land? Ich antworte, dass ich mir nicht viel daraus mache. Es ist ein weiter Weg bis zur Schule, fast eine Stunde Fahrzeit, und ich muss früh aufstehen. Außerdem sehe ich meine Freunde nicht mehr so häufig wie früher. Dafür wohnen wir aber jetzt in einem Haus, in dem wir mehr Platz haben, und auf lange Sicht ist es sichergesund mit der Ruhe und der frischen Luft. Ich werde mich schon daran gewöhnen.
    Erstaunlicherweise gibt Anders mir nicht recht wie die meisten Erwachsenen sonst. Er behauptet, genau zu wissen, wie es mir geht und wie fürchterlich es ist, wenn man mitsamt seinen Wurzeln ausgerissen wird, so etwas kann jemanden fürs Leben prägen. Und ich solle mich nicht schämen, wenn ich wütend auf meine Mutter oder auf meinen Vater bin. »Wo Zorn ist, da ist auch Hoffnung«, sagte er. Ich bin völlig baff und muss lachen, weil es das Verrückteste ist, was ich seit langem gehört habe. Außerdem hat er offenbar etwas missverstanden: Ich habe nicht gesagt, dass ich wütend bin. Ich bin nur betrübt, dass ich in so eine Situation geraten bin und nicht weiß, wie ich wieder herauskomme. Das ist alles.
    »Aber dann musst du doch wütend sein«, sagt er.
    »Auf wen?«
    »Na, auf deine Mutter zum Beispiel. Sie hat doch entschieden, dass ihr hier wohnen sollt, oder?«
    »In der Stadt hätten wir für dasselbe Geld nur den halben Platz. Könnte doch sein, dass Mutter recht hat. Vielleicht ist es ja gut, wenn wir ein bisschen Abstand gewinnen.«
    Er sieht mich mit einem seltsamen Blick an; ich weiß nicht, ob er nur Mitleid mit mir hat oder meint, ich sei dumm, wenn ich mich mit der Situation abfinde. Vielleicht beides. Er beendet das Gespräch mit dem Satz, dass der Garten ihm weitergeholfen habe, als seine Eltern starben. Es sei der einzige Ort gewesen, an dem er es ausgehalten habe. Die Nachbarn hätten schon über ihn geredet, weil er so viel Zeit im Garten verbrachte. Manchmal auch nachts.
    »Sie behaupten, dass ich bei Vollmond nackt zwischen den Bäumen herumgelaufen bin.«
    »Und, stimmt das?«
    Er lacht laut auf, aber er streitet es nicht ab. Ich finde es peinlich. Andererseits könnte es ganz lustig sein, sich so etwas mal anzusehen. Ob er wirklich nachts nackt herumgelaufen ist?
    »Vielleicht kann der Garten auch dir helfen«, sagt er.
    Das kann ich mir allerdings nur schwer vorstellen. Soll

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