Kopfloser Sommer - Roman
interessant.
»Der ist trockengefallen und wird seit Jahren nicht mehr benutzt. Außerdem ist es gefährlich«, erklärt er.
»Nur einen einzigen Blick«, quengelt Jacob. Ich erinnere ihn, dass es Mutter nicht gefällt, wenn er dort spielt. Das ist Quatsch, widerspricht er, denn über der Öffnung des Brunnens liegen Bretter, und wenn er mit Anders und mir zusammen ist, kann ihm nichts passieren.
Anders muss jetzt wirklich zurück an die Arbeit. Er geht zu den Büschen, die er zuletzt beschnitten hat, Jacob folgt ihm. Mutter kommt uns entgegen. Sie trägt ein lockeres, leichtes Sommerkleid und hält in der einen Hand ein Bier und in der anderen zwei Flaschen ökologische Brause. Anders bekommt das Bier, die Limonade ist für Jacob und mich.
»Was für eine Hitze, es ist schwül geworden, was? Ich störe doch nicht?«
Anders schüttelt den Kopf und versichert, dass ein bisschen Gesellschaft doch ganz hübsch ist. Und Jacob ist mit der Schubkarre eine große Hilfe. Mutter sieht sich um und nickt in Richtung der Büsche, die bereits geschnitten sind.
»Du bist ziemlich weit. Es ist schon sehr viel schöner.«
»Ich schneide nur die Büsche, die dicht am Haus stehen. Damit es von der Straße aus ordentlich aussieht. Wenn es nicht regnet, bin ich bis heute Abend fertig.«
»Wenn es nicht regnet?«, wiederholt Mutter und schaut nach oben. Jacob und ich legen ebenfalls den Kopf in den Nacken; Anders hat recht, es ist dunkel am Horizont, die Wolken steigen wie Rauch in den Himmel.
»Du arbeitest einfach so weit, wie du kommst«, sagt sie.
»Normalerweise beende ich das, was ich angefangen habe.«
Er trinkt den letzten Schluck Bier, geht zur Leiter und greift nach der elektrischen Heckenschere. Mutter schaut ihm nach, oder besser gesagt, sie starrt auf seinen Arsch, während sie mit einem hellen, etwas albernen Tonfall sagt: »Wie du willst. Wenn du es heute nicht schaffst, dann eben morgen. Du hast ja das Gästezimmer.«
Mich stört weniger, was Mutter sagt, sondern die Art, wie sie es sagt. Ich finde, dieses Getue passt überhaupt nicht zu ihr. Und zu allem Überfluss hält sie ihm auch noch die Leiter,als er hinaufsteigt. Die Leiter wackelt überhaupt nicht. Anders tut so, als würde er es nicht bemerken. Wahrscheinlich wagt er nicht, sie wegzuschicken. Und ich will mich nicht einmischen. Um nicht mitzuerleben, wie sie sich weiter blamiert, gehe ich in mein Zimmer. Stelle meinen Computer an, lege Rammstein auf und drehe den Lautstärkeregler auf. Eigentlich kann ich mit Heavy Metal wenig anfangen, aber hin und wieder ist es ganz schön, wenn einem das Hirn herausgeblasen wird. Und Mutter hasst diese Musik, das ist ein nicht ganz unwesentliches Detail. Nach einer Viertelstunde kommt sie herein und bittet mich, leiser zu drehen, weil sie arbeiten will, und dazu braucht sie Ruhe. Ich frage sie, wie lange Anders ihrer Meinung nach bleiben soll.
»Wenn er heute nicht fertig wird, dann bleibt er eben einen Tag länger. Du brauchst keine Angst zu haben, Emilie, er tut uns nichts; im Gegenteil, er hilft uns mit dem Garten.«
»Du hast dich doch nie für den Garten interessiert. Du wolltest einen Naturgarten oder wie du das genannt hast. Diese Büsche sollten doch gar nicht geschnitten werden.«
»Na ja, es ist schon schön, wenn es gemacht ist. Und die Nachbarn sehen auch lieber beschnittene Büsche, von der Straße sieht das einfach ordentlicher aus.«
Ich schnaube höhnisch, sie ist so leicht zu durchschauen.
»Hast du etwas gegen ihn, Emilie?«
Ich schüttele den Kopf, eigentlich nicht. Aber mir gefällt es nicht, dass Mutter es auf ihn abgesehen hat, sie macht sich doch lächerlich. Außerdem wissen wir noch immer nicht, wer er eigentlich ist; er hat irgendetwas Seltsames an sich.
»Übrigens kommt Henriette heute Abend«, sagt sie, als würde das etwas helfen. »Wir haben unser Treffen, und ich bin sicher, dass wir hinterher noch ein Glas trinken. Wahrscheinlich wird sie ihren Wagen stehen lassen und auf demSofa schlafen.«
»Und dann?«
»Dann sind zwei starke Frauen im Haus, die auf dich und Jacob aufpassen. Ist doch ein schöner Gedanke, oder?«
Henriette und Mutter sind beide im Zentrum für Frauenforschung angestellt; ihre Treffen finden zu Hause statt und enden normalerweise damit, dass sie sich über ihre Probleme mit den Männern unterhalten. Dabei betrinken sie sich mit teurem Wein, den sie auf Rechnung des Frauenforschungszentrums kaufen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Henriette hier
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