Kopfloser Sommer - Roman
abgerissen? Jedenfalls nicht in Dänemark. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, mit Anders allein zu reden, werde ich ihn darauf ansprechen.
Doch es ist gar nicht so einfach, einen Moment mit ihmallein zu sein. Nachdem Jacob ins Bett gegangen ist, schwirrt Mutter ständig um ihn herum. Noch immer verhält sich Anders ihr gegenüber ziemlich abweisend, und das verletzt sie. Trotzdem gibt sie nicht auf. Ihr Verhalten zerreißt mir das Herz, warum lässt sie es nicht einfach?
Erst gegen Mitternacht gelingt es ihr, ihn in ihr Schlafzimmer zu locken. Aber es läuft wohl nicht wie geplant, denn ich höre sie streiten. Vor allem Mutters Stimme höre ich. Schließlich wird eine Tür zugeworfen, und Anders kommt zu mir. Wortlos setzt er sich an meinen Schreibtisch und seufzt.
»Probleme?«
Er nickt. »Warum darf ich deiner Mutter nicht sagen, wie es um uns steht, Emilie? Ich halte das einfach nicht aus.«
Er sieht wirklich aus, als würde ihn etwas bedrücken. Soll ich glauben, dass es ihm ernst ist mit mir? Habe ich ihn sozusagen zurückerobert? Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er Mutter gern alles erzählen kann. Dann wüsste ich, ob er blufft oder ob ich mich auf ihn verlassen kann. Aber das geht nicht.
»Du sagst nichts!«
»Dann mach du es, bitte. Ich glaube, sie schmeißt mich raus, wenn sie nicht bald von mir bekommt, was sie will.«
»Meinst du?«
»Ja, ich denke schon. Du hättest sie eben hören sollen, sie ist völlig außer sich.« Er setzt sich zu mir aufs Bett und greift nach meinen Händen. »Aber ich will doch dich, Emilie.«
Innerlich zerfließe ich regelrecht, denn das ist das Schönste, was er mir sagen kann. Er lässt meine Hand los, aber nur, um eine Hand unter meine Bettdecke zu stecken. Es ist eine ziemlich fordernde Hand, die Hand eines erwachsenen Mannes. Es ist ja nicht so, dass ich nicht gern von ihm berührt würde, aber diese Hand hat es viel zu eilig. Sie fummelt anmeinen Oberschenkeln, und ich muss sie zurückhalten, sonst käme sie allzu hoch. So will ich es nicht, noch nicht, und auch nicht hier in meinem Zimmer. Lieber im Garten, vielleicht in einer seiner Höhlen. Seine Hand ist wirklich schwer zu bändigen, doch im Moment muss er sich mit Küssen zufrieden geben.
Und wir küssen uns, ich wusste wirklich nicht, dass man sich auf so unterschiedliche Weise küssen kann. Er saugt an meiner Oberlippe, es kribbelt bis in die Zehen. Mittendrin bemerke ich Jacob, der an der Tür steht und uns beobachtet. Er ist sofort wieder verschwunden, alles ging so schnell, dass ich nicht einmal sicher bin, ob er überhaupt dort gestanden hat. Ich versuche mich zu beruhigen, aber ich kann nicht, ich muss nach ihm sehen. Mit geschlossenen Augen liegt er im Bett, aber ohne das übliche Lächeln auf den Lippen. Jacob atmet ziemlich hastig, ich habe das Gefühl, dass er wach ist.
»Warst du das eben, Jacob?«
Er schlägt die Augen auf. Ich setze mich auf die Bettkante, er sieht verängstigt aus.
»Hast du etwas geträumt?«
»Nein. Aber das mit dem Vogel verstehe ich noch immer nicht. Ich war draußen und habe in den Mülleimer geguckt, weil ich ihn begraben wollte. Aber er ist nicht mehr da.«
»Er ist nicht mehr da?«
»Nein. Wer hat ihn herausgeholt?«
Auch in meinen Ohren klingt es eigenartig. Aber es könnte viele Erklärungen geben. Vielleicht hat der Deckel nicht richtig draufgelegen, dann könnte es eine Katze gewesen sein, aber damit will ich ihn jetzt verschonen.
»Ich habe Küchenabfälle hinausgebracht, Jacob. Wahrscheinlich habe ich sie auf den Vogel geschüttet.«
Er glaubt mir, ist aber traurig, dass er den Vogel nicht imGarten begraben konnte. Ich bleibe bei ihm, bis er wieder schläft.
9
Jeden Abend so gegen Mitternacht kommt Anders zu mir und erklärt mir, dass er mich will. Allmählich fange ich an, ihm zu glauben. Ich achte immer darauf, dass ich bereits im Bett liege, wenn er kommt. Dann setzt er sich auf die Bettkante, es ist sehr gemütlich. Wir reden und wir küssen uns, ich mag beides. Und jeden Abend gestatte ich seiner Hand unter meiner Bettdecke größere Freiheiten.
Als er beim ersten Mal seine kühle Hand auf meinen Bauch legte, bebte die Haut, ich konnte kaum still liegen. Nach und nach habe ich mich daran gewöhnt, jetzt bekomme ich nur noch eine Gänsehaut. Wenn er mit der Hand über den Saum meines Slips streichelt, spüre ich es bis in die Fingerspitzen. Berührt er die Innenseite meiner Schenkel, bekomme ich kaum Luft und denke, dass er mit mir machen
Weitere Kostenlose Bücher