Kopfloser Sommer - Roman
kann, was er will. Aber sowie die Hand zwischen meine Beine schlüpft, ziehe ich sie leise, aber bestimmt wieder auf meinen Bauch.
Tagsüber beobachte ich, wie Mutter ihn herumzukriegen versucht. Aber er verhält sich weiterhin abweisend. Zum Glück ist er dabei höflich und nett. Immer wieder denke ich darüber nach, ob ich mit ihr reden und ihr die Wahrheit sagen soll. Anders und ich können sie nicht so zum Gespött werden lassen, das ist nicht fair. Aber irgendwie kommt ständig etwas dazwischen.
Spätabends telefoniert Mutter oft mit Henriette, ich weiß nicht, weshalb. Sie ruft aus dem Schlafzimmer an, bei geschlossener Tür, daher vermute ich, dass es um Anders geht. Es sind lange Gespräche, doch offenbar genügen die Telefonate nicht, denn eines Tages besucht uns Henriette. Sie behauptet, gerade in der Nähe gewesen zu sein, sie habe nur einen kleinen Umweg fahren müssen, aber ich weiß genau, warum Henriette gekommen ist. Sie kommt, um Mutter zu trösten. Mutter freut sich jedenfalls, sie zu sehen.
Die beiden setzen sich an den Wohnzimmertisch, und ich bleibe einfach im Zimmer. Aber ich halte mich im Hintergrund, blättere am Bücherregal in den Büchern und mische mich nicht in ihr Gespräch. Ich hoffe, Henriette kann Mutter zur Vernunft bringen. Sie muss einsehen, dass es sinnlos ist, es auf einen Mann abzusehen, der so viel jünger ist als sie.
Während die beiden sich unterhalten, setze ich mich in eine Ecke und zeichne sie. Ich sitze halb verborgen hinter einer Topfpflanze, die Anders aus dem Garten hereingebracht hat. Die Pflanze reicht fast bis zur Decke. Selbstverständlich können sie mich sehen, deshalb reden sie anfangs auch nicht so offen. Doch mit der Zeit sind sie so mit sich und ihren Problemen beschäftigt, dass sie mich schnell vergessen haben.
»Ich versteh’s nicht«, sagt Mutter. »Wir passen so gut zusammen, er und ich, wir können über alles reden.«
»Äußert er sich denn gar nicht dazu?«, erkundigt sich Henriette mitfühlend.
»Überhaupt nicht. Das ist ja das Frustrierende. Aber ich bin überzeugt, dass er mich attraktiv findet.«
Henriette nickt eifrig. »Ja, ja, so etwas spürt man.«
»Gestern Abend, als wir uns gute Nacht sagten, erlaubte ich mir, ihn auf den Mund zu küssen, denn … ganz ehrlich, Henriette, wenn du wüsstest, was er damals im Badezimmer mit mir gemacht hat.«
Sie legt eine Kunstpause ein und Henriettes Busen wogt.Wenn meine Brüste munter und Amalies seriös sind, dann sind Henriettes beides, seriös und munter.
Eigentlich will ich aufstehen, denn diese Geschichte möchte ich wirklich nicht hören, aber ich beiße mir auf die Lippe und bleibe sitzen. Denn letztendlich will ich doch nichts verpassen.
»Er hat sich zurückgezogen und etwas gesagt, was mich wirklich gekränkt hat.«
»Was denn?«
»Er wäre nicht sicher, ob er dazu bereit sei. Er würde am liebsten mein Gärtner sein, wenn das für mich okay wäre. Findest du mich denn nicht anziehend?, wollte ich wissen. Und dann hat er gesagt, na ja, schon, aber so anziehend auch wieder nicht.«
»So anziehend auch wieder nicht? Oh, ich verstehe, dass es dich sehr verletzt haben muss.«
»Und es ist auch nicht wahr, er findet mich attraktiv, so wie ich ihn, das weiß ich. Warum sagt er so etwas? Was bezweckt er damit?«
Henriette nickt. »Tja, du wirst ihn fragen müssen.«
Sie diskutieren den Fall eingehend, während ich hinter der großen Bodenpflanze sitze und zuhöre; fast vergesse ich zu zeichnen.
»Könnte es damit zusammenhängen, dass er noch immer um seine Eltern trauert?«, spekuliert Henriette.
»Daran habe ich auch schon gedacht, aber dann könnte ich ihn doch erst recht trösten. Allerdings will er überhaupt nicht darüber sprechen. Vielleicht hat es etwas mit dem Altersunterschied zu tun?« Plötzlich entwickelt Mutter Sinn für die Realität. »Ich bin einundvierzig, er ist zweiundzwanzig, das sind immerhin neunzehn Jahre Unterschied.«
Aber das ist für Henriette kein Grund. Mutter hält sichschließlich gut, und es gibt viele junge Männer, die reifere Frauen mögen. Was also könnte es dann sein? Henriette beginnt einen längeren Vortrag über Geschlecht und Identität, bis sie schließlich zu einem Erklärungsversuch kommt.
»Er hat Angst, sich hinzugeben.«
»Sich hinzugeben? Was meinst du damit?«
»Er findet dich anziehend, vielleicht ist er sogar verliebt in dich, aber das will er sich nicht eingestehen. Er schämt sich dafür. Vielen Männern geht es so, sie
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