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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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lange in den Armen, mir kommen fast die Tränen. Aber ich weine nicht, ich kann mich beherrschen. Dann nimmt er mich an die eine und Jacob an die andere Hand und geht mit uns ins Haus. In der Küche sitzen Mutter und Anders. Als Vater sieht, dass wir einen Gast haben, lässt er uns überrascht los.
    »Anders kümmert sich um unseren Garten«, stellt Mutter ihn vor.
    Vater nickt und begrüßt ihn kurz. Anders trägt ein T-Shirt und Jogginghosen; wie ein Gärtner sieht er nicht gerade aus, eher wie ein Untermieter. Verlegen und ohne ein Wort zu sagen, sehen wir uns an. Mutter bietet Kaffee an, aber Vater lehnt dankend ab. Er möchte gern sofort zurückfahren.
    »So oft habe ich ja nicht das Vergnügen, mit meinen Kindern zusammen zu sein«, entschuldigt er sich. »Wir müssen die Zeit nutzen.«
    So ist Vater einfach. Selten lässt er sich die Gelegenheit entgehen, anderen zu erzählen, wie sehr er uns mag.
    Wir bringen unser Gepäck zum Auto und verabschieden uns von Mutter und Anders. Jacob und ich setzen uns auf den Rücksitz. Mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass Mutter und Anders nun allein sind. Es beunruhigt mich, aber ich beschließe, Anders zu vertrauen. Mich will er, das hat er selbst gesagt. Alles andere ergäbe auch keinen Sinn. Im Ernst, was glaubt Mutter denn, wer sie ist? Wann hat sie sich das letzte Mal im Spiegel gesehen?
    Im Auto lächeln wir uns zu. Wir werden ein schönes Wochenende miteinander verbringen, nur wir drei; vor allem Jacob bebt vor Erwartung. Sein hysterischer Anfall ist vorbei, jetzt freut er sich einfach, seinen Vater zu sehen. Ich kann ihn verstehen, denn seit dem letzten Mal sind bereits vierzehn Tage vergangen. Ich habe keine Ahnung, welche Pläne Vater fürs Wochenende hat, und ich frage ihn auch nicht danach ‒ das Wichtigste ist, dass wir zusammen sind. Ich weiß nur, dass wir seine neue Wohnung sehen werden. Und das ist spannend.
    Nach einer Viertelstunde Fahrt erkundigt sich Vater nach unserem neuen Zuhause. Wie wir unsere Tage verbringen und ob wir uns schon an das neue Haus gewöhnt haben? Ich beantworte jede seiner Fragen so positiv, wie es überhaupt nur möglich ist, ohne allzu schrill zu klingen. Jacob presst die Lippen aufeinander und schaut aus dem Fenster.
    »Anfangs mochten wir es nicht so«, sage ich. »Wir mussten uns erst einmal daran gewöhnen, wie weit es bis zum Supermarkt ist. Und wie ruhig nachts, wenn nicht gerade eine Eule im Garten schreit, aber es gefällt uns immer besser.«
    »Dir auch, Jacob?« Vater betrachtet ihn im Rückspiegel.
    Jacob nickt, allerdings mit einem knallroten Kopf. Vaterbemerkt es natürlich. Jacob fällt es schwer zu lügen, man sieht es ihm gleich an.
    »Auf jeden Fall freut er sich über den großen Garten, in dem man Höhlen bauen und auf Bäume klettern kann. Nicht wahr, Jacob?«
    Wieder nickt er und blickt aus dem Fenster. Ich finde, er befolgt meine Anweisungen etwas zu genau. Es wäre weniger auffällig, wenn er wenigstens ein bisschen sprechen würde.
    Eine Weile sagen wir nichts. Dann stellt Vater eine Frage, die ihm durch den Kopf gegangen sein muss, seit er Anders gesehen hat.
    »Wer war denn dieser junge Mann in der Jogginghose, der in der Küche saß?«
    »Ach, das war bloß Anders«, antworte ich. »Er kümmert sich um den Garten.«
    »Ist er Gärtner?«
    »Nein, nicht wirklich. Aber er hat als Kind in dem Haus gewohnt, und sein Vater hat ihm gezeigt, was im Garten zu tun ist.«
    »Und wo wohnen seine Eltern jetzt?«
    »Sie sind tot.«
    »Tot?«
    »Ja, sie sind ins Wasser gefallen und ertrunken«, wirft Jacob ein, und ich schicke ihm einen warnenden Blick. Sofort steckt er sich den Handrücken in den Mund und schweigt. Ich schmunzele.
    »Und woher kennt ihr ihn?«
    »Er kam eines Abends vorbei, um sich den Garten anzusehen, und Mutter hat sich mit ihm unterhalten.«
    Ich muss vorsichtig sein und darf nicht zu sehr in die Details gehen, denn ich finde nicht, dass Vater zu viel erfahren sollte. Vor allem darf er nicht den Eindruck bekommen, dass Mutter nicht genügend auf uns achtgibt. Das führt nur wieder zu Streit. Vater wirft Jacob im Rückspiegel immer wieder einen Blick zu. Jacob duckt sich und holt sein Nintendo aus der Tasche.
    Vater versteht nicht ganz, wie es dazu kam, dass wir Anders regelrecht eingeladen haben. Er würde gern mehr darüber hören. Ich bleibe so nah wie möglich an der Wahrheit und erzähle, dass der letzte Zug schon gefahren war und so weiter. Ich finde, es gibt keinen Grund, ihm zu

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