Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Innenhof mit einer Rasenfläche und einem kleinen Spielplatz.
    »Wirklich toll, Vater«, sage ich. »Echt. Das ist ein Superzimmer, meine Freundinnen werden neidisch sein.«
    »Bei Mutter hat natürlich jeder sein eigenes Zimmer.«
    »Ja, aber das hier ist größer und schöner.«
    Jacob plappert mir einfach die Sätze nach, beinahe wörtlich.
    »Findet ihr?« Vater sieht wirklich süß aus, wenn er stolz ist.
    »Natürlich.«
    »Natürlich«, wiederholt Jacob und springt Vater in dieArme. Hinterher will er mit mir Versteck spielen, denn hier gibt es viele neue Versteckmöglichkeiten. Aber das muss noch warten.
    Vater zeigt uns die übrige Wohnung, die Fenster des Wohnzimmers und des Schlafzimmers liegen auf der Seite der Seen. Die Aussicht ist richtig nett, allerdings ist es auch recht laut, denn direkt unter den Fenstern läuft eine ziemlich befahrene Straße. Diesen Raum hätte ich nicht gerade zum Schlafzimmer gemacht. Außerdem ist er deutlich kleiner als unser Zimmer. Wieso hat er es nicht umgekehrt eingerichtet? Eigenartig, zumal Jacob und ich doch nur alle vierzehn Tage zu Besuch kommen. Vielleicht will er mich ermuntern, zu ihm zu ziehen? Er meint es gut, aber es ist wirklich nicht nötig. Ich will nicht bei ihm wohnen, um ein besseres Zimmer zu bekommen, sondern weil ich bei ihm sein möchte.
    Ich schaue mich in der Wohnung um und finde überall Fotos von Jacob und mir, selbst auf der Toilette. Fast schon zu viele. Auf ein paar Bildern ist auch Mutter, doch vor einem halb von einem Kalender verdeckten Foto am Kühlschrank stutzt Jacob. Es zeigt eine Frau, die weder er noch ich schon einmal gesehen haben. Dass Vater eine neue Freundin hat, wissen wir, Mutter hat es uns erzählt. Ist sie es? Vater will nicht darüber reden, offenbar will er Jacob schonen. Aber das macht’s nur schlimmer, jedenfalls verschwindet Jacob bedrückt in unserem Zimmer.
    Vater nutzt die Gelegenheit, um mir zu erzählen, dass die Frau auf dem Foto Birthe heißt. Gern würde ich mehr über sie erfahren, doch Jacob kommt mit einem Fußball zurück ins Wohnzimmer. Er dribbelt zwischen den Möbeln und stößt natürlich an eine Stehlampe, die gegen die Wand fällt. Der Schirm ist verbeult und die Birne kaputt. Vater reagiert überraschend ruhig, schimpft ihn nicht einmal aus. Er geht mitJacob und dem Ball in den Hof.
    Währenddessen stöbere ich in der Wohnung herum. Ich finde kleine Dinge, die mich an den Vater erinnern, den ich aus der Zeit vor der Scheidung kenne. Den Vater, der Mutter eine langstielige Rose mitbringen konnte, obwohl sie gar nicht Geburtstag hatte. Einmal kam er mit einer gelben Rose, die sie in eine Vase steckte und auf die Fensterbank stellte. Sie schlug im Wasser Wurzeln und blieb mehrere Monate frisch. Damals bewohnten wir zwei Zimmer in der Gothersgade, eine nur achtundvierzig Quadratmeter große Wohnung. Und Jacob war gerade geboren, es gab überhaupt keinen Platz, aber es war einfach gemütlich. Vater spielte abends Gitarre, und wir sangen so laut, dass die Nachbarn unter uns an die Heizung klopften. Wenn jemand fragte, wie wir es in dieser bedrängten Situation aushielten, hatte Vater eine hübsche Antwort: »Das ist die Wohnung in der Stadt, in der es die meiste Liebe pro Quadratmeter gibt.«
    Dann zogen wir in eine Vierzimmerwohnung in Østerbro, mit Badewanne und Waschtisch, und waren froh. Aber irgendwie war es nicht mehr so gemütlich wie in der Gothersgade, und als Mutter die Arbeit im Frauenforschungszentrum bekam, hatte sie plötzlich eine Menge an Vater zu kritisieren – Fehler, die ihr vorher nicht aufgefallen waren. Zumindest empfand er es so. Aber möglicherweise hatte er sich auch verändert, jedenfalls kam er immer später von der Arbeit nach Hause. Na ja, und später habe ich ja auch herausgefunden, warum, aber daran will ich jetzt nicht denken.
    Seine Gitarre hat er noch, sie hängt im Wohnzimmer an der Wand. Ich berühre sie mit dem Zeigefinger. Der Finger wird staubig, offenbar spielt er nicht mehr so häufig. Auch der alte Sessel, in dem Vater abends oft gesessen und gelesen hat, steht hier. Im Familienalbum gibt es ein Bild von ihm in dem Sessel.Ich muss mir das Foto am Kühlschrank noch einmal ansehen. Das von der fremden Frau, die Birthe heißt. Mit ihr ist Vater nicht fremdgegangen. Entweder hat er die andere verlassen oder er hat mehrere Freundinnen.
    Ich frage mich, ob ich wirklich hier wohnen möchte. Meine Antwort ist ja. Allein die Tatsache, dass andere Menschen im Haus wohnen und

Weitere Kostenlose Bücher