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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ziemliche Last, die du da mit dir herumgeschleppt hast, was Emilie? Aber mach dir deshalb keine Sorgen. Es war gut, dass du es getan hast.«
    »Ja?«
    »Ja. So ist die ganze Sache herausgekommen. Früher oder später musste es so kommen.«
    »Du bist mir also nicht böse?«
    »Nein, warum sollte ich dir böse sein? Ich konnte mich nicht entscheiden, und auf diese Weise wurde es entschieden. Ich müsste dir eher dankbar sein.«
    »Dankbar?«
    Er nickt. Ich fühle mich dermaßen erleichtert, dass ich nun doch anfange zu weinen. Alles hat sich ganz anders entwickelt, als ich es mir vorgestellt habe. Vater hat mir vergeben, er ist mir sogar dankbar. Ich kann es kaum glauben. Ich setze mich auf seinen Schoß.
    »Schätzchen«, sagt er und drückt mich an sich. »Und das hat dich so lange bedrückt? Du hättest es mir ruhig erzählen können, es wäre in Ordnung gewesen. Im Übrigen hast du vollkommen richtig gehandelt.«
    »Meinst du das ernst?«
    »Ich schwöre es.«
    Wir lehnen die Stirn gegeneinander, wie damals, als ich klein war. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so wohl gefühlt habe.
    »Ich werde Mutter sagen, dass du gern hier wohnen würdest. Wir sollten nicht länger warten. Du fühlst dich nicht wohl auf dem Land, das merke ich dir doch an.«
    »Aber das liegt nicht an Mutter.«
    »Natürlich nicht. Aber hier hättest du mehr Zeit, um dich nach der Schule mit deine Freundinnen zu treffen, oder?«
    »Schon.«
    »Hast du einen Freund?«
    Ich schüttele den Kopf, wische mir die Augen aus.
    »Das solltest du ändern. Ein Mädchen in deinem Alter sollte einen Freund haben. Hast du niemandem im Visier?«
    »Nein«, erwidere ich, korrigiere mich aber. »Na ja, es gibt da vielleicht jemanden.«
    »Darf ich fragen, um wen es sich handelt?«
    Ich bin unsicher, ob ich es erzählen soll, aber aus irgendeinem Grund kann ich es nicht lassen.
    »Du hast ihn schon gesehen.«
    Möglicherweise erzähle ich es, weil ich mich jemandem anvertrauen will und sonst niemanden habe. Vielleicht auch wegen des Briefs, über den er überhaupt nicht wütend ist. Wie es aussieht, kann ich ihm alles erzählen.
    »Er heißt Anders.«
    »Anders? Jemand aus deiner Klasse?«
    »Er geht nicht in meine Klasse. Er geht überhaupt nicht mehr zur Schule. Er ist sehr viel älter als ich.«
    Mehr sage ich nicht, ich lasse ihn selbst darauf kommen. Und dann scheint ihm ein Licht aufzugehen. Aber sein Gesichtsausdruck gefällt mir gar nicht.
    »Emilie, es ist doch nicht dieser sogenannte Onkel, oder?«
    Ich wage nicht, es zu bestätigen, denn er sieht mich an, als hätte ich irgendetwas Kriminelles verbrochen. Es tut mir aufrichtig leid, überhaupt etwas gesagt zu haben.
    »Ich begreife gar nichts«, sagt er schließlich. »Wenn ich Jacob glauben darf, dann ist er der Liebhaber eurer Mutter.«
    »Von Mutter? Nein, das ist er ganz sicher nicht.« Ich kann nicht anders, ich muss grinsen, denn damit liegt er nun völlig daneben. »Behauptet das Jacob? Da hat er aber etwas gründlich missverstanden.«
    »Redet ihr über mich?«, ruft Jacob aus unserem Zimmer. Ich gehe zu ihm und überlege, ob ich ihn ausschimpfen soll, denn, verdammter Mist, was soll dieses Gerede. Aber er sieht so klein und unschuldig aus, und ich sage nur: »Ich glaube, ich kenne jemanden, der keine zwanzig Kronen bekommt.«
    »Papa hat nicht aufgehört zu fragen«, entschuldigt er sich. »Ich habe gesagt, er soll dich fragen, aber er hat immer wieder davon angefangen.«
    »Wieso glaubst du, dass Anders Mutters Liebhaber ist?«
    Jacob zuckt die Achseln und zeigt mir etwas, das er gerade aus Legosteinen zusammenbaut. Ich setze mich auf den Boden und spiele mit ihm. Wenn wir nach Hause kommen, werde ich Anders selbst fragen.
    Vater geht im Wohnzimmer auf und ab, er hat offensichtlich über vieles nachzudenken. Dennoch bin ich ziemlich verblüfft, als er zu uns hereinkommt und erklärt, wir müssten sofort zurück zu Mutter. Es gäbe Probleme bei seiner Arbeit, leider. Er hat von einem anderen Lehrer, dem heute gekündigt wurde, eine Mail erhalten. Vater muss den schockierten Kollegen besuchen, er braucht seine Hilfe.
    »Können wir nicht einfach so lange hier warten?«, schlage ich vor. »Wir sind doch gerade erst gekommen, außerdem haben wir noch nicht zu Abend gegessen. Du kannst uns doch eine Pizza holen, dann essen wir, während du mit deinem Kollegen redest.«
    »Nein, es kann länger dauern, ich muss euch nach Hause bringen. Es ist wirklich ärgerlich, denn ich

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