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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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habe mich sehr auf unser Wochenende gefreut.«
    »Ich bin nicht mehr böse auf dich, Papa«, sagt Jacob.
    »Es hat nichts mir dir zu tun«, versichert er. »Und ich bin auch nicht böse auf euch. Ich hole euch morgen, dann können wir noch immer eine schöne Zeit miteinander verbringen. Das Wochenende dauert schließlich bis Sonntag.«
    Ich weiß genau, worum es geht, ich habe ihn durchschaut. So wichtig kann die Geschichte mit dem Kollegen gar nicht sein. Er würde bestimmt verstehen, dass Vater nicht sofort zu ihm kommen kann, wenn er Besuch von seinen Kindern hat.
    »Du willst mit Mutter reden«, sage ich ihm auf den Kopf zu.
    »Möglicherweise gibt es ein paar Dinge, die ich sie fragen will, wenn ich sie bei der Gelegenheit sehe.«
    »Zum Beispiel?«
    Er will es nicht sagen. Ist auch nicht nötig, ich weiß es doch längst. Er will wissen, was zum Henker vor sich geht, weil er sich um Jacob Sorgen macht. Und dafür gibt es auch allen Grund. Jacob braucht feste Regeln, die ihm ein Gefühl der Geborgenheit geben, hat der Schulpsychologe gesagt, und im Augenblick ist die Situation zu Hause alles andere als geregelt. Aber davon, dass Vater eine Szene macht, wird es nicht besser.
    »Wenn du uns jetzt nach Hause bringst, brauchst du morgen gar nicht erst zu kommen«, sage ich.
    Vater tut so, als hätte er mich nicht gehört, er ist bereits abfahrbereit. Wir folgen ihm zum Auto. Auf der Rückfahrt wird nicht viel gesprochen. Wieso war ich auch so blöd undhabe ihm von meinen Gefühlen für Anders erzählt? Hauptsache, er sagt Mutter nichts, so dumm wird er hoffentlich nicht sein. Ich werde Jessica eine SMS schreiben müssen, dass ich morgen Abend doch nicht kommen kann. Aber ich weiß nicht, wie ich es begründen soll. Geschrieben sieht die Wahrheit eigenartig aus, außerdem schäme ich mich für meinen Vater. Der Kollege bedeutet ihm offenbar mehr als Jacob und ich. Ich lösche den Text und schreibe, mein Vater möchte nicht einen ganzen Abend ohne mich verbringen. Er sieht uns so selten, wir sollen das ganze Wochenende bei ihm bleiben. Das ist zwar nicht die Wahrheit, aber es sieht besser aus.
    Zur Sicherheit warte ich mit dem Versenden der Nachricht. Vielleicht sollte ich Vater noch eine Chance geben? Könnte doch sein, dass er sich besinnt und die Begegnung mit Mutter kurz und undramatisch verläuft. Wenn er uns wirklich morgen noch einmal holen will, lasse ich mich vielleicht überreden.

11
    Als wir daheim ankommen, ist merkwürdigerweise niemand zu Hause, obwohl Mutters Auto in der Garage steht. Vater geht im Haus herum, öffnet sämtliche Türen und schaut in alle Zimmer. Ich bin beunruhigt, denn was passiert, wenn er sie eng umschlungen und nackt zusammen im Bett findet? Oder sie irgendwo stöhnen hört? Ich habe gerade behauptet, Anders sei mit mir zusammen und nicht mit Mutter.
    Aber Vater findet niemanden. Es antwortet auch niemand, als wir im Garten nach ihr rufen. Mutter und Anders sind verschwunden. Jacob ist überzeugt, dass sie sich irgendwo im Garten verstecken, er läuft zwischen den Büschen herum. Er schaut auch in die geheimen Höhlen, die Anders uns gezeigt hat, glücklicherweise aber erfolglos.
    »Du solltest zu deinem Treffen fahren, Papa«, sage ich.
    »Ich kann euch nicht einfach absetzen und wieder fahren, ich muss erst noch mit eurer Mutter sprechen.«
    Ich verstehe es nicht, er hätte sie doch anrufen können. Die ganze Sucherei halte ich für übertrieben. Im Grunde geht es ihn doch überhaupt nichts an, was Mutter mit dem Gärtner treibt.
    »Die tauchen schon wieder auf«, sage ich. »Komm, Jacob, wir setzen uns ins Wohnzimmer und warten.«
    In diesem Moment kommt uns Anders entgegen, ich weiß nicht, wo er herkommt ‒ er muss im Garten gewesen sein. Jacob überfällt ihn geradezu mit Fragen.
    »Wo hast du dich versteckt? Und wo ist Mama? Was hast du mir ihr gemacht?«
    »Eure Mutter?« Er sieht uns verständnislos an.
    Vater erklärt ihm die Situation, und während Anders zuhört, wechseln wir Blicke. Er weiß offenbar wirklich nicht, wo Mutter ist. Ich bin sehr erleichtert. Anders und ich schlagen vor, Mutter auf ihrem Handy anzurufen, aber Vater behauptet, er hätte es bereits probiert, sie würde nicht abnehmen. Als ich es mit meinem Handy versuche, bin ich sofort mit ihr verbunden. Es stellt sich heraus, dass sie bereits im Hauseingang steht. Sie ist mit dem Fahrrad am Strand gewesen und zurückgekommen, als wir sie im Garten gesucht haben. Hinter Vaters Rücken drücke ich

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