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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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seine Tränen nicht peinlich, denn jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass wir zusammengehören.
    Mutter öffnet die Wagentür und fasst nach meinem Arm, um mich herauszuziehen. Jacob hilft ihr; dieser kleine Teufel, das wird er mir büßen. Schließlich gebe ich auf und steige aus, Vater fährt los. Ich bleibe auf der Straße stehen und sehe dem Wagen nach. Anders schaut aus dem Rückfenster, und ich stampfe mit dem Fuß auf den Boden, so wütend bin ich. Doch die Wut verwandelt sich rasch in Verzweiflung, und als der Wagen um eine Ecke biegt und verschwindet, gebe ich klein bei.
    »Wurde aber auch Zeit, dass ihr diesen Kerl rausgeschmissen habt.« Frau Larsen steht mit ihrem Rollator im Vorgarten und hat die gesamte Szene mit angesehen.
    »Kennen Sie ihn?«, erkundigt sich Mutter.
    »Und ob ich ihn kenne. Das ist mein Haus, ich hab es achtzehn Jahre lang an seine Eltern vermietet. Als sie starben und ihr Sohn sich wie ein Verrückter benahm, habe ich ihn rausgeschmissen. Aber mich fragt ja niemand.«
    Mutter geht zu ihr, um sich weitere Einzelheiten erzählen zu lassen. Natürlich bin ich auch neugierig, aber ich käme nie auf die Idee, mit Frau Larsen zu reden. Mann, Frau Larsen ist senil, sie hat bei uns alles mit Öl zugeschmiert, nur damit es nicht mehr quietscht. Sogar den Sessel, die Armlehnen und die Beine, dabei ist so etwas gar nicht gut fürs Holz. Aber jetzt ist Frau Larsen offenbar sehr nützlich, Mutter nimmt alles, was die Alte erzählt, für bare Münze. Pfui. Ich laufe in mein Zimmer und werfe mich aufs Bett.
    Ich bin einfach nur enttäuscht. Vor allem über Vater, weil er Mutter von Anders und mir erzählt hat. So etwas kann er nicht machen. Wieso konnte es nicht unser kleines Geheimnis bleiben? Und ich bin von Mutter enttäuscht, weil sie versucht, einen Keil zwischen Anders und mich zu treiben. Er will aber nicht sie, er will mich, und das muss sie, verdammtnoch mal, einsehen.
    Mutter betritt mein Zimmer und setzt sich aufs Bett. Sie will meine Hand nehmen, aber ich verstecke meine Hände unter der Bettdecke und drehe mich zur Wand.
    »Emilie, du hättest Frau Larsen hören sollen.«
    »Die ist senil.«
    »So senil ist sie nun auch wieder nicht, und eigentlich hat sie recht, ich hätte sie längst fragen sollen. Anders ist nicht der, für den er sich ausgibt. Auch die vorherigen Mieter hat er terrorisiert. Er hat angeboten, gegen Kost und Logis das Haus zu streichen. Aber er wurde nie fertig. Als er das Haus zum vierten Mal streichen wollte, baten sie ihn zu gehen. Aber glaubst du, er ist gegangen? Er hat sich im Garten versteckt und Essen aus dem Kühlschrank gestohlen, sie mussten ihn schließlich mit Hilfe der Polizei verscheuchen. Und trotzdem ist er zurückgekommen. Dieser Ort bedeutet ihm alles, es ist krankhaft.«
    »Ist er nicht das Opfer eines tragischen Unfalls?«
    »Doch, aber das berechtigt ihn nicht, Menschen auf diese Weise auszunutzen, oder? Jetzt weiß ich auch, woher er die Narbe hat. Es war Frau Larsen, sie hat auf ihn mit einem Kleinkalibergewehr geschossen.«
    »Frau Larsen? Sie hat ein Kleinkalibergewehr?«
    »Ihr Mann hat damit Ratten geschossen, und nach seinem Tod hat sie sich das Schießen beigebracht.«
    »Aber warum hat sie auf Anders geschossen?«
    »Weil er mitten in der Nacht splitternackt im Garten herumlief und zwischen den Bäumen eigenartige Laute ausstieß. Die ehemaligen Mieter beschwerten sich. Sie hat ihn an der Brust getroffen.«
    »Ich dachte, es war ein Selbstmordversuch?«
    »Anders ist ein notorischer Lügner, Emilie. Und du solltestnicht traurig sein wegen ihm, er ist es nicht wert.«
    Ich will nichts mehr hören und bitte Mutter zu gehen. Was sie erzählt, kann nicht stimmen, so ist Anders nicht. Er käme nie auf den Gedanken, so schamlos zu lügen. Oder doch? Mutter ist es gelungen, Zweifel in mir zu säen. Hat er doch gelogen? Vielleicht hat Frau Larsen sich einfach nur falsch ausgedrückt, und Mutter hat etwas missverstanden? Ich entscheide mich, für Letzteres, obwohl es mir schwerfällt. Ich drehe mich um, und sie geht.
    Mutter und Jacob sehen abwechselnd nach mir. Sie bemühen sich redlich, mich aufzumuntern, und irgendwie ist das auch nett, denn ich bin wirklich traurig.
    Nach einer Weile gehe ich ins Wohnzimmer. Jacob möchte Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Eigentlich ist es zu spät für ihn, aber Mutter tut, als hätte sie die Uhrzeit vergessen.
    Sie geht schnell in Führung und gewinnt mit großem Abstand. Ich verliere ebenso grandios,

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