Kopfloser Sommer - Roman
Anders’ Hand.
Mutter kommt sofort zu uns, und ihren Schritten entnehme ich, dass sie schäumt. Sie zieht Vater beiseite, aber ich verstehe sie trotzdem. Wieso um alles in der Welt bringt er uns nach Hause? Wir sind doch gerade erst losgefahren. Im Übrigen hat er nicht versucht, sie anzurufen, das kann sie auf dem Display ihres Handys sehen. Ich glaube ihr; Vater wollte nicht anrufen, weil er hoffte, sie mit Anders zu erwischen. Das ist ziemlich mies von ihm. Er verteidigt sich, so gut er kann, aber er stockt und stammelt, und Mutter unterbricht ihn ständig. Sie hätten eine eindeutige Abmachung – sie schreit ihn beinahe an –, die könne er nicht einfach umschmeißen, das verstöre nur die Kinder. Es sei unverantwortlich! Wieder ist dieses Wort gefallen, ich hasse es. Wenn sie über Verantwortung sprechen, geht es immer um uns, aber was ist eigentlich mit ihnen? Als würden sie Verantwortung übernehmen, sie benehmen sich wie Säuglinge.
Ich nehme Jacob beiseite, denn jetzt fangen sie ernsthaft an zu streiten, und Jacob kommen die Tränen. Als wir ins Haus gehen, läuft Anders uns hinterher und legt tröstend einen Arm um Jacob. Jacob schubst ihn weg.
»Es ist alles deine Schuld!«, schnieft er.
»Meine Schuld?«
»Du darfst nicht bei uns wohnen, solange wir nicht wissen, wer du bist. Und du bringst alle dazu, sich zu zanken. Auch Mama und Emilie haben sich gestritten. Alle zanken sich nur noch und vergessen mich dabei. Ich soll mich geborgen fühlen, aber das tue ich nicht.«
Anders kann ein Lachen nicht unterdrücken. Ich weiß nicht, was so komisch ist, er könnte mir ruhig erklären, dass er nicht Mutters Liebhaber ist. Sie und Vater kommen uns nach, es sieht so aus, als hätten sie sich irgendwie geeinigt. Zumindest scheinen sie nicht länger wütend aufeinander zu sein.
»Anders, ich glaube, es ist am besten, wenn du jetzt gehst«, sagt Mutter.
Er murmelt, er hätte noch etwas zu beenden, doch sie unterbricht ihn und erklärt, dass sie es ernst meine: »Jetzt!«
»Aber …«
»Kein aber. Du hast gehört, was sie gesagt hat.«
Es ist nichts zu machen. Ausnahmsweise wird Mutter von Vater unterstützt. Eigentlich ganz schön, es ist lange her. Andererseits ist es völlig irre, Anders die ganze Schuld zu geben.
»Du kannst mit mir fahren, ich muss ohnehin in die Stadt«, bietet Vater an.
Anders hat kaum Zeit, seine Sachen zu holen, so schnell muss es plötzlich gehen. Als hätten sie ihn auf frischer Tat bei einem Diebstahl ertappt. Ich fasse nicht, warum er nicht protestiert, aber er scheint wirklich erschüttert zu sein. Er sieht mich an. Was zum Teufel soll ich machen?
»Wir können ihm nicht vertrauen, Emilie«, sagt Mutter. »Er sagt mir dieses und dir jenes. Er manipuliert uns. Wir können mit so jemandem nicht zusammen wohnen.«
Das kann nicht stimmen, ich will nichts davon hören. Undjetzt fängt Jacob auch noch an.
»Genau das hat Papa auch gesagt. Und für mich habt ihr überhaupt keine Zeit mehr. Hier, ich zittere.«
Er streckt die Hände aus, aber ich will es nicht sehen und drehe mich zu Anders um. Er sieht ganz verloren aus, und ich muss ihn einfach umarmen. Er legt die Arme um mich, es ist ein gutes Gefühl. Er drückt mich fest an sich, und wir bleiben lange so stehen, obwohl die anderen zugucken. Jetzt sehen sie ja, wer hier wessen Freundin ist. Schließlich fasst Vater ihn am Arm und zerrt ihn beinahe ins Haus. Er gibt ihm zwei Minuten, um seine Sachen zu packen. Gleichzeitig erzählt Mutter weiter von seinem Doppelspiel, aber ich will es nicht hören und drehe mich einfach um. Ich gehe ums Haus und stelle mich in die Einfahrt.
Anders und Vater kommen heraus und gehen ohne den kleinsten Abschiedsgruß zum Auto. Anders hat seine Sachen in die alte Sporttasche gepackt, deren Reißverschluss nicht einmal richtig zugezogen ist; Strümpfe und Hemdsärmel hängen heraus.
»Ich will mich noch von Emilie verabschieden«, sagt er, aber Vater stößt ihn auf den Rücksitz, setzt sich ans Steuer und lässt den Motor an.
Ich stelle mich vor die Stoßstange. Vater tritt aufs Gas, hat allerdings auch die Kupplung durchgetreten. Erst als die Stoßstange mich berührt, laufe ich um den Wagen herum, öffne die Hintertür und springe neben Anders. Wenn er nicht bei mir bleiben darf, gehe ich mit ihm. Vater flucht, er dreht sich um und schüttelt mich. Mir kommen die Tränen. Anders sieht es, aber ich schäme mich nicht. Auch ihm stehen Tränen in den Augen, und zum ersten Mal sind mir
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