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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wieder richtig gute Freunde. Wie ich immer sage: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Jetzt fehlt nur noch deine Mutter. Bestimmt gibt es die eine oder andere Wahrheit, die du ihr noch nie zu sagen gewagt hast?«
    »Ja, sicher.«
    »Na also, dann red mit ihr. Du hast mit der Elternerziehung angefangen, Emilie, jetzt musst du es auch zu Ende bringen.«
    »Mit der Elternerziehung?«
    »Ja, deine Eltern haben bei dir mit ihrer Kindererziehung geglänzt, doch nun drehst du den Spieß um und fängst an, sie zu erziehen. Siehst du denn nicht, dass sie es nötig haben?«
    Ich finde, das klingt ganz vernünftig. Eigentlich merkwürdig, dass ich nicht schon vorher darauf gekommen bin.
    »Sprich mit deiner Mutter. Sie wird es überleben, glaub mir, sie wird dir auch nicht böse sein. Erwachsene ertragen es durchaus, wenn man ihnen die Meinung sagt. Und dir geht es besser, wenn es erst einmal heraus ist. Damals bei meinen Eltern war es genauso. Nachdem sie sich erst einmal gefasst hatten, waren sie mir beinahe dankbar. Danach war unser Verhältnis ehrlicher und klarer. Es war schön. Ich bin froh, dass ich es erleben durfte.«
    »Was hast du ihnen denn gesagt?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Emilie. Ich erzähle sie dir ein andermal.«
    »Wieso nicht jetzt?«
    »Weil ich kein Ende finde, wenn ich erst einmal anfange. Und dann sehne ich mich nach ihnen und werde traurig. Aber jetzt liege ich hier zusammen mit dir und möchte es genießen.«
    Und ich schaue ihn nur an und versinke in seinen sanften Augen. Dass ein Mann so roh und gleichzeitig so sensibel sein kann. Vielleicht hat er ja recht, im Moment würde ich mit seinem Kummer nicht zurechtkommen. Jetzt gehen meine Hände unter der Decke auf Entdeckungsreise, und es dauert nicht lange, bis wir wieder miteinander schlafen. Es ist noch besser als beim ersten Mal. Beim Sex muss man offenbar üben, so wie beim Zeichnen.
    »Ich komme morgen Abend wieder, um die gleiche Zeit«, verspricht Anders, als wir uns etwas erholt haben. Ich will nicht, dass er geht.
    »Wohin gehst du?«
    »Das erzähle ich dir später; du wirst noch alles rechtzeitig erfahren, sei nicht so ungeduldig.«
    »Stimmt es, dass du das Haus für die vorherigen Mieter vier Mal gestrichen hast? Und dass sie schließlich die Polizeirufen mussten, um dich hinauszuwerfen?«
    »Nein, ich habe auch das Dach repariert.« Er lächelt mich frech an, dann ist er verschwunden.
    Ich klettere aus dem Fenster und folge ihm heimlich; ich bin neugierig, wohin er will. Geht er wirklich zum Brunnen? Er kann doch nicht tagsüber dort unten bleiben? Aber es sieht ganz so aus, jetzt ist er am Brunnen. Mit raschen Handbewegungen zieht er die Bretter beiseite, greift nach dem Seil und klettert über den Rand. Dann rutscht er in die Tiefe.
    Was ist dort unten? Ich bin nur einen Steinwurf entfernt, halte den Atem an und weiß nicht, ob ich umkehren soll. Nein, erst muss ich näher heran. Noch ein Stück, dann habe ich den Brunnen erreicht. Die Bretter liegen wieder über der Öffnung, er muss sie von unten an ihre ursprüngliche Position gezogen haben. So lautlos wie möglich schiebe ich ein paar Bretter beiseite und schaue hinunter. Nichts zu sehen. Aber irgendwohin muss er verschwunden sein.
    Ich greife nach dem Seil und steige über den Brunnenrand, ich will das Mysterium lösen. Weit komme ich allerdings nicht. Unter mir leuchtet ein Licht auf, Anders steht dort und schaut zu mir hinauf.
    »Was habe ich dir gesagt, Emilie?«
    Sofort klettere ich zurück auf den Rand, zum ersten Mal habe ich wirklich Angst vor ihm. Seine Stimme klingt anders, sie bebt vor Zorn, außerdem hallt es im Brunnenschacht.
    »Was machst du da unten?«, rufe ich und trete einen Schritt zurück, denn wenn ich mich nicht täusche, klettert er nach oben. »Warum willst du’s mir nicht erzählen?«
    Er schaut über den Brunnenrand, außer Atem. Dann lächelt er beruhigend und spricht wieder mit seiner gewohnten Stimme.
    »Du wirst es sehen, nur ruhig. Ich freue mich, es dir zu zeigen, wenn die Zeit gekommen ist. Aber noch bin ich nichtfertig.«
    »Fertig? Womit?«
    »Liebste Emilie, du musst keine Angst haben. Du wirst eingeladen. Geh jetzt nach Hause und zieh dir was an, du wirst dich erkälten.«
    Er hat Recht, alles ging so schnell, ich fange wirklich an zu frieren. Ich laufe zurück zum Haus. Was macht er dort unten? Gibt es eine weitere Höhle, nur für ihn? Ein Ort, an dem er sich nachts aufhält? Ich bleibe auf dem Rasen stehen, es gibt

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