Kopfloser Sommer - Roman
anruft, bin aber sofort auch misstrauisch. Erst entschuldigt er sich, dass er Jacob und mich nach Hause bringen musste. Sehr ärgerlich, sagt er, allerdings sei der Besuch bei seinem Kollegen wirklich wichtig gewesen.
»Wieso hat man ihn gefeuert?«
»Es gibt derzeit einige Probleme an der Hochschule, ist ziemlich schwierig zu erklären.«
Er will mir nicht mehr erzählen, wahrscheinlich, um mich zu schonen. Aber ich ahne etwas.
»Hat es mit der Finanzkrise zu tun?«
Er zögert einen Moment, dann sagt er: »Zur Zeit hat doch alles damit zu tun.«
Ich verstehe. Auch die Hochschulen sind von der Finanzkrise betroffen. Sie hängen schließlich von Zuschüssen ab, und wenn die gekürzt werden, kommt es zur Krise, das erklärt sich von selbst. Es könnte zu Entlassungen kommen, niemand kann sich sicher fühlen. Auch Vater nicht, und das belastet ihn natürlich. Er hat gerade eine neue Wohnung gekauft, kein guter Zeitpunkt. Aber so ist es überall: Die Leute sind nervös, es wird nicht mehr so viel investiert, es ist ein Teufelskreis. Deshalb streiten sich die Menschen auch häufiger, und deshalb gehen sie auch öfter fremd und lassen sich scheiden.
»Wie ist die Situation in China?«, frage ich ihn, denn wenndie Wirtschaft dort zusammenbricht, haben wir ein ernsthaftes Problem. Es ist noch nichts passiert, beruhigt er mich, jedenfalls hat er jetzt Zeit, sich um seine beiden wunderbaren Kinder zu kümmern. Er will uns abholen. »Wir können in den Zoo gehen«, schlägt er vor, »oder irgendetwas anderes unternehmen, zum Beispiel spazieren gehen oder einfach nur bei mir zu Hause sitzen. Ihr fehlt mir.«
Mir wird ganz warm, ich glaube, er meint es ernst.
»Du fehlst uns auch«, erwidere ich. »Holst du uns sofort?«
Gestern habe ich ihm erklärt, dass er heute gar nicht erst zu kommen braucht. Aber da war ich wütend und verletzt. Er hätte doch etwas über die Finanzkrise und die Hochschulen sagen können, und dass er selbst betroffen ist. Ich bin alt genug, um so etwas zu verstehen.
»Das würde ich gern, Emilie, aber ich habe mit deiner Mutter geredet, und du weißt, wie sie manchmal sein kann. Sie ist noch immer sauer und wirft mir vor, die Absprachen nicht einzuhalten; ich soll bis nächste Woche warten. Aber einerseits passt es mir schlecht, andererseits will ich nicht so lange auf euch verzichten. Kannst du nicht mal mit ihr reden?«
Er hat also erst Mutter gefragt, und sie hat ihm eine Abfuhr erteilt. Und jetzt soll ich mit ihr reden, damit sie ihre Meinung ändert. Es wäre nicht das erste Mal, aber mir gefällt das nicht. Ich hasse es, in ihre Konflikte hineingezogen zu werden, und das weiß er genau. Verfluchter Mist, gerade hatte ich mich entschlossen, ihm zu verzeihen.
»Ganz ehrlich, das musst du schon selbst klären«, sage ich. »Und da ich dich schon am Apparat habe, ich bin auch ziemlich sauer, dass du Mutter von Anders und mir erzählt hast.«
Am anderen Ende der Leitung wird es still.
»So ging das einfach nicht weiter mit diesem Anders, er hat bei euch doch alles auf den Kopf gestellt. Jacob wirktegeradezu verängstigt, das geht einfach nicht. Ich habe schließlich noch immer eine Verantwortung als Vater. Nur konnte ich Anders nicht rausschmeißen, ohne vorher mit deiner Mutter über die Angelegenheit gesprochen zu haben. Ich musste ihr sagen, was du mir erzählt hast.«
»Das war unfair mir gegenüber.«
»Aber leider notwendig. Ich verstehe ja, dass du es anders siehst, daher möchte ich es ja auch wiedergutmachen.«
»Wo hast du Anders eigentlich hingefahren?«
»Nach Hause. Er wohnt in einem Zimmer am Tagensvej. Ich glaube kaum, dass ihr noch einmal von ihm hören werdet.«
»Hast du ihm Prügel angedroht?«
»Nein, auf eine solche Idee käme ich nie, Emilie, so bin ich nicht. Sagen wir, ich habe ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte.«
Ich sehe ihn am anderen Ende der Leitung grinsen, aber auch ich schmunzele in mich hinein – wenn er wüsste. In diesem Moment steckt Jacob den Kopf in mein Zimmer, und ich beende rasch das Gespräch. Es gibt keinen Grund, ihn in diese Auseinandersetzung einzubeziehen. Jetzt sende ich Jessica die Nachricht, die ich gestern geschrieben hatte, denn nun bin ich sicher, dass ich heute Abend nicht zu ihr kommen werde.
Mutter ruft mich aus der Küche. Wollen wir es uns nicht ein bisschen gemütlich machen?, schlägt sie vor. Eigentlich ist es lange her, seit wir Kekse gebacken haben. Ich gebe ihr recht, es ist schon viel zu lange
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