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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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noch eine Möglichkeit. Es könnte ein Versteck sein, in dem ich ihn besuchen kann. Ein Ort, an dem wir ungestört sein können. Wieso ist mir das nicht gleich eingefallen? Er baut uns ein Liebesnest, es kann gar nicht anders sein. Und er will es gemütlich einrichten, ist aber noch nicht fertig. Wie lieb von ihm. Er legt noch letzte Hand an und freut sich, es mir zu zeigen. Ein Liebesnest auf dem Boden eines Brunnens. Ein heimliches Zimmer tief unter der Erde. Wer hat so etwas schon? Wenn das nicht romantisch ist, weiß ich es auch nicht. Ich brenne darauf, es Amalie zu erzählen.
    Plötzlich wird mir klar, dass ich mitten auf dem Rasen stehe und nichts anhabe. Was mache ich hier? Ich stehe am frühen Morgen im Garten, nackt! Eben wollte ich noch in einen Brunnen steigen! Allerdings fühlt sich das gar nicht komisch an, im Gegenteil. Eigentlich ist es sehr schön, am ganzen Körper den Wind zu spüren. Nur habe ich mit einem Mal Angst, dass mich jemand sehen könnte. Ich schaue zum Haus, nur in meinem Zimmer brennt Licht, weder Mutter noch Jacob sind aufgestanden.
    Ich laufe, bleibe aber auf dem Rasen, laufe im Kreis, schneller und schneller, und stoße dabei merkwürdige Laute aus. Plötzlich schießt mir durch den Kopf, dass die Geräusche, die wir hin und wieder aus dem Garten gehört haben, vielleichtdoch nicht von Tieren stammen, sondern von Anders, der genauso im Garten herumlief. Er will es nicht zugeben, vermutlich ist es ihm peinlich. Aber dazu gibt es keinen Grund, es ist einfach schön. Vielleicht hören Mutter und Jacob jetzt mich und meinen, es sei eine Eule. Ich versuche, eine Eule zu imitieren, und, mein Gott, mir antwortet eine Eule. Total verrückt! Dann stellt sich jedoch heraus, dass es keine Eule war, sondern Anders. Er kommt auf mich zugelaufen, ebenfalls nackt, ich bleibe stehen. Das geht zu weit. Ich werde verlegen, mein Körper erstarrt. Doch er nimmt mich bei der Hand und zieht mich mit sich, Seite an Seite laufen wir immer tiefer in den Garten hinein. Aber ich will ohne Gummistiefel nicht zwischen den Bäumen herumlaufen, deshalb renne ich auf die Straße, weg vom Haus, weg von Mutter. Kein Mensch ist zu sehen, niemand ist schon auf den Beinen. Mit bloßen Füßen laufen wir nebeneinander über den lauwarmen Asphalt, und ich muss lachen, so wahnsinnig schön ist es. Allerdings fällt es mir schwer, mit Anders Schritt zu halten, er läuft schnell und mühelos und gerät überhaupt nicht außer Atem. Ein Auto kommt uns entgegen, wir treten an den Straßenrand und drehen dem Wagen den Rücken zu, um nicht erkannt zu werden. Der Fahrer hupt, wir springen über eine Hecke in einen Garten. Hier bleiben wir eine Weile unter einem Baum stehen, ich muss erst einmal zu Atem kommen. Ich recke die Arme über den Kopf und stütze mich mit den Händen gegen den glatten, kühlen Baumstamm. Dann küsse ich die Borke und bitte auch Anders, es zu tun; ich möchte sehen, wie das aussieht. Er küsst den Baum ganz langsam und fast übertrieben gefühlvoll, dann dreht er sich um und presst seinen nackten, behaarten Körper an mich. Und wir küssen uns. In diesem Moment flammt ein paar Meter von uns entfernt in einem Fenster Licht auf – man hat uns entdeckt. Ich weiß nicht, wer, ichwill es auch nicht wissen. Hastig laufen wir auf die Straße zurück. Hinter mir höre ich Anders nicht mehr, mir ist es unglaublich peinlich, nackt und möglicherweise erkannt worden zu sein. Es ist bestimmt nicht komisch, wenn Mutter davon erfährt.
    Ich klettere in mein Fenster und krieche unter die Bettdecke; langsam wird mir wieder warm. Mutter darf nichts davon wissen, und doch würde ich wahnsinnig gern hinaufgehen und ihr alles erzählen – besser kann das, was sie in diesem Wellnesscenter treiben, auch nicht sein. Natürlich geht das nicht. Und so gern ich es täte, ich kann auch nicht erzählen, dass Jacob recht hatte und tatsächlich jemand unten im Brunnen haust. Es ist ein Geheimnis. Anders hat versprochen, mich bald mitzunehmen; ich dürfe mich freuen, hat er gesagt.
    Ich möchte Amalie per SMS von der Nacht erzählen, finde aber, dass es sich einfach zu merkwürdig liest. Wie so viele Dinge, die ich momentan erlebe. Im letzten Moment entscheide ich mich, damit zu warten. Sie wird von dem Liebesnest hören, aber erst, wenn ich es gesehen habe.

12
    Ich freue mich riesig, als Vater sich am nächsten Tag meldet. Wir telefonieren selten miteinander. Ich mag es, wenn er auf meinem Handy und nicht auf unserem Festnetz

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