Kopfloser Sommer - Roman
arbeitet und mit sich zufrieden ist. Ich muss mich irgendwo verstecken. Der Mann weist mit einem Kopfnicken auf die Ecke des Raums, wo ein paar große Kartoffelsäcke stehen. Es gelingt mir gerade noch, dahinterzukriechen und mich zu ducken.
13
»Nein, wer kommt denn da zu Besuch? Das ist aber eine Überraschung!«, rufen die Eltern wie aus einem Mund und klingen mit einem Mal sonderbar munter.
»Na, und wie geht’s euch so?«, erkundigt sich Anders. Ich höre, wie ein Stuhl über den Zementboden gezogen wird.
»Uns? Ach danke, mein Junge, wir wollen nicht klagen«, erwidert der Vater. »Wir haben wie üblich viel zu viel zu tun, wir kümmern uns einfach um zu viele Dinge. Wir müssen endlich lernen, auch einmal Nein zu sagen.«
»Wir werden ja auch nicht jünger«, ergänzt die Frau. »Aber wir versuchen, alles zu erledigen und können uns wirklich nicht beschweren. Aber wie geht es dir?«
Ich begreife überhaupt nichts. Als würden sie sich plötzlich an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit befinden. Was meinen sie damit, sie hätten viel zu viel zu tun? Ist das ein Witz, den nur Eingeweihte verstehen? Und wieso beklagen sie sich nicht oder bitten ihn, die Ketten aufzuschließen? Ich stecke den Kopf über die Säcke und sehe, dass Anders die Füße auf den Tisch gelegt hat.
»Seid ihr sicher, dass ihr es hören wollt?«
»Ja, natürlich.«
Er schaut die beiden nacheinander an, alle drei sind jetzt sehr ernst. »Glaubt ihr, ihr könnt die Wahrheit ertragen?«
Die Eltern nicken und schwören, sie würden es aushalten. Anders steht auf, beugt sich über den Vater und schaut ihm tief in die Augen. Dann beugt er sich über seine Mutter. Sie lächeln, aber sie haben eindeutig Angst.
»Mir geht es beschissen.« Er flüstert fast.
»Um Himmels willen, wieso denn, mein Junge?«, erkundigt sich die Mutter.
»Ich weiß nicht, aber ich habe mich in diesem Psychologiestudium festgefahren. Es langweilt mich. Ich glaube, es ist nichts für mich.«
»Dieses Gefühl hatte ich auch«, sagt der Mann rasch. »Aber mach dir darüber keine Gedanken, es gibt doch keinen Grund, dass du weiterhin deine Zeit damit verschwendest.«
»Meinst du?«
»Ja, gewiss. Und deine Mutter auch. Nicht wahr, Gerda?«
»Ganz bestimmt, ganz bestimmt.« Vor lauter Eifer, überzeugend zu wirken, kann sie ihre Zunge nicht im Zaum halten. »Schmeiß das Studium. Es reicht doch, wenn deine Mutter Psychologin ist und dein Vater Psychiater.«
Aus irgendeinem Grund dreht Anders sich plötzlich blitzschnell um. Ich ziehe den Kopf ein und halte den Atem an. Bekomme Staub in die Nase. Hat er mich entdeckt? Er kommt auf die Säcke zu, geht aber daran vorbei ‒ das Radio, das auf dem Regal an der Wand steht, wird ausgeschaltet. Es wird totenstill im Raum.
»Ich weiß nur nicht, was ich studieren soll«, sagt er schließlich, während sich seine Schritte von meinem Versteck entfernen. »Was meinst du, Mutter?«
»Ach, mein Gott, das eilt nicht, es gibt ja so viele Fächer. Und du bist doch noch jung. Wozu hast du denn Lust?«
»Es müsste etwas sein, wo ich meine Hände benutzen kann und an der frischen Luft bin. Zimmermann vielleicht. Oder Gärtner.«
»Gärtner?«, wiederholt der Mann mit großer Herzlichkeit in der Stimme. »Das würde deinen alten Vater freuen. Du hast mir immer gern bei der Gartenarbeit geholfen und dich dabeisehr geschickt angestellt. Und die Hauptsache ist doch, dass du dich bei deiner Arbeit wohl fühlst. Das haben wir immer gesagt.«
»Ja«, bestätigt die Mutter. »Das Wichtigste ist, dass es dir gut geht. Du sollst dein Leben leben und musst auf uns keine Rücksicht nehmen. Du bist jung und hast das Recht, jung zu sein.«
Wieder kratzt ein Stuhlbein über den Zement. Anders setzt sich. Er schnauft schwer, offenbar ist er nicht wirklich zufrieden. Aber warum sagt er nichts? Ich habe einen Spalt zwischen zwei Säcken gefunden, den ich vorsichtig vergrößere, um hindurchzuschauen. Ich sehe, wie er das Kinn in eine Hand stützt und mit der anderen auf die Tischplatte trommelt. Die Eltern scheinen nervös zu sein, als würden sie auf ihr Urteil warten.
»Ganz ehrlich, was meint ihr?«, fragt er.
Sie sehen sich an, flüstern miteinander und erklären, sie hätten es ihrer Ansicht nach sehr gut gemacht, aber selbstverständlich stünde nur ihm das endgültige Urteil zu.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagt Anders. Ja, sie hätten es so weit ganz gut gemacht, sie hätten sich alle Antworten gemerkt,
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