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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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schüttele den Kopf. Es gibt auch ein Schwarzer-Peter-Spiel. »Das hat er uns erzählt. Hast du dich von ihm getrennt? Ich würde es verstehen. Was erzählt er über uns?«
    »Er sagt, ihr seid ertrunken.«
    »Ertrunken? Das habe ich mir doch gedacht, habe ich es nicht gesagt?« Der Vater stößt die Mutter an.
    »Und wie spricht er über uns?«, will sie wissen.
    »Gut. Ihr hattet Probleme miteinander, und er war wütend auf euch. Aber dann habt ihr euch ausgesprochen und wiedervertragen.«
    »Vertragen?«, wiederholt sie verblüfft, dabei werden ihre Augen lebendig. Sie scheint es nicht zu glauben. »Er redet nicht schlecht über uns?«
    »Nein, im Gegenteil, er spricht sehr anständig von euch.«
    »Ist das denn zu glauben?« Sie wendet sich ihrem Mann zu, ihre Stimme klingt geradezu herzlich. »Hast du das gehört, Jesper? Er spricht anständig über uns und sagt, wir hätten uns versöhnt. Wenn es doch nur so wäre, ach Herrgott, er will dasselbe wie wir. Er ist doch ein guter Junge.«
    Der Vater nickt, aber ihn beschäftigt im Augenblick eher, wie sich die Ketten aufschließen lassen.
    »Wenn du die Schlüssel nicht findest, kannst du dann nicht Hilfe rufen?«, fragt er. Ich habe mein Handy nicht dabei. Und als ich vorschlage hochzugehen, um es zu holen, wird er unsicher.
    »Vielleicht hat Anders dich hierherkommen sehen. Sicherlich ist es am vernünftigsten, wenn du bleibst. Wenn du uns befreit hast, sind wir zu dritt, um mit ihm fertigzuwerden.«
    Ich bin nicht sicher, ob die beiden in ihrem Zustand mit irgendjemandem fertigwerden könnten. Aber in einem Punkt hat er recht: Wo ist Anders? Ich möchte nicht, dass er entdeckt, wo ich gewesen bin, bevor ich Alarm schlagen konnte.
    »Warum hat er euch so lange gefangen gehalten?«, frage ich, während ich weitersuche.
    »Weil er geisteskrank ist!« Der Vater brüllt fast, die Mutter versucht ihn zu beruhigen.
    »Er hatte Geburtstag«, erzählt sie, »aber er hat sich überhaupt nicht gefreut. Offenbar hatten wir die falschen Geschenke gekauft, denn er hörte gar nicht wieder auf zu fragen, wann er die richtigen Geschenke bekäme. Wir wussten nicht, was er meinte. Es waren die richtigen Geschenke, dieGeschenke, die er sich gewünscht hatte. Doch er erklärte uns, sie würden nicht von Herzen kommen, er könnte nicht spüren, dass wir es ernst meinen. So ging es stundenlang, er war vollkommen außer sich. Und dann muss er uns etwas ins Essen getan haben, denn kurz nachdem wir gegessen hatten, schliefen wir ein. Es war so eigenartig, wir wollten Karten spielen, Whist, wie immer; Vater mischte und teilte aus. Ich bekam drei Asse, war aber so müde, dass ich ununterbrochen gähnen musste. Und Vater auch. Wir haben darüber gelacht, denn so spät war es noch gar nicht. Doch plötzlich schaute Vater Anders sehr böse an; er warf die Karten beiseite, stand auf und steckte sich einen Finger in den Hals. Aber es war schon zu spät, er konnte sich nicht mehr übergeben. Kurz darauf fiel er zu Boden. Ich wollte aufstehen und ihm helfen, aber es ging nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, als sei ich betrunken, und Anders saß nur daneben und schaute zu, ohne etwas zu unternehmen. Aber plötzlich sah ich, dass er sich schämte.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Doch, doch. Und als wir erwachten, saßen wir hier unten.«
    »Und hier sitzen wir noch immer.«
    »Du hättest deine Schlaftabletten auch nicht überall herumliegen lassen dürfen, Jesper.«
    »Sie lagen im Medizinschrank, dort hatte er nichts zu suchen.«
    »Aber der Schrank war nicht abgeschlossen. Ein Medizinschrank muss doch verschlossen sein, bist du nicht Arzt? Habt ihr so etwas nicht im Studium gelernt? Er hätte uns mit den Tabletten umbringen können.«
    »Nicht, wenn ich ihn rechtzeitig hätte behandeln dürfen, Gerda. Aber du hast dich ja immer widersetzt. Das ist derGrund, warum wir hier sitzen.«
    Endlich spüre ich etwas an der Unterseite des mittleren Regalbodens. Ich ziehe es heraus, es handelt sich tatsächlich um ein Schlüsselpaar an einem Schlüsselring.
    »Sind sie das?«
    Beide nicken eifrig, und ich stecke den einen der beiden Schlüssel in das Schloss am Bein des Mannes. Er schlägt nach meiner Hand, offenbar ist es der falsche Schlüssel; als ich ihn herausziehen will, hat er sich verklemmt. Ich kann ihn weder zur einen noch zur anderen Seite drehen. In diesem Moment höre ich ein lustiges Trällern im Gang.
    »Hier komme ich, es gibt nur mich.«
    So singt Anders, wenn er im Garten

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