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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Katastrophen aus: einen schlimmen Sturz Alnas, eine achtlos liegengelassene Sense, an der sich das Kind gefährlich verletzen konnte, und natürlich immer wieder das Flußfieber, die gelbliche Hautverfärbung und die weißen Blasen. Wenn sie danach wieder einschlief, träumte sie von einer großen Wiese voller blauer Blumen. Und Alna kam dann mit einem ganzen Strauß in der Hand auf sie zugerannt.
    Am Morgen nach solchen Träumen erwachte Inanna mit dem Gefühl, daß sich doch noch alles zum Guten wenden würde. Sie fragte sich dann, warum sie sich ständig um Alna Sorgen machte und ob alle Mütter so närrisch waren. Diese Tage erschienen ihr frisch und klar. Sie stand dann voller Tatkraft auf, frühstückte kräftig, kleidete sich im Königinnenornat und begab sich festen Schritts in die Große Halle, um sich dort den Regierungsgeschäften zu widmen. Und sie hatte an solchen Tagen die Hoffnung, daß heute endlich die große Wende kommen würde.
    Aber diese Hoffnung erfüllte sich nie. Nicht selten saß sie einen ganzen Morgen lang auf dem Thron, ohne daß auch nur eine einzige Eingabe gemacht wurde oder ein Bittsteller erschien. Die Sonne drang furchtbar durch die Gitter, ließ die Blumen verdorren und erfüllte die Luft mit Staub. Draußen brannten die Totenfeuer, und endlos erklangen die Klagelieder. Warum bin ich hier? pflegte sich Inanna in solchen Stunden zu fragen. Dann sah sie die ängstlichen Gesichter und wußte die Antwort: Sie war hier, um den Menschen Hoffnung zu geben. Sie war ihre Herrscherin. Der Begriff Königin gewann eine neue Bedeutung für sie, und sie fühlte sich gebunden, so als sei eine große Last auf ihrem Rücken angebracht worden.
    Am Fuße des Throns standen die Gefährtinnen der Königin in einem Halbkreis. Sie fächerten sich mit Palmwedeln Luft zu, und ihre Gesichter waren schweißbedeckt. Wie alt sie alle aussahen und wie gebrechlich. Ihre grauen Haare wirkten wie Staub. Inanna stellte sich vor, daß die roten Gewänder dieser Frauen schwache Flammen seien, die eine nach der anderen ausgingen. Bald würde niemand mehr von der alten Ordnung übrig sein.
    Diese Vorstellung war ihr sehr unangenehm, und zum erstenmal wurde ihr bewußt, wie sehr sie die alte Königin vermißte. Hätte sie gewußt, was zu tun war? Aber dann schob Inanna diesen Gedanken beiseite und sagte sich, daß solche Überlegungen nutzlos waren und ihr nichts einbrachten. Doch nie ließ sich diese Mischung aus Liebe, Schmerz und Schuld ganz verdrängen, so ineinander verwoben und ununterscheidbar sie auch sein mochte.
    »Ihr solltet Euch neue Gefährtinnen suchen«, schlug Lyra eines Morgens vor. »Gefährtinnen in Eurem Alter.«
    »Nein«, entgegnete Inanna, »noch nicht.«
    Aber am nächsten Morgen brachte Lyra die hundertzwanzig stärksten Frauen der Stadt in die Große Halle und präsentierte sie Inanna. Die Frauen trugen kurze Tuniken und hatten sich die Haare eingeölt und zurückgekämmt, damit die Königin die Gesundheit und Frische in ihren Gesichtern erkennen konnte. Sie erschienen Inanna wie Wesen aus einer anderen, einer glücklicheren Zeit. Die Frauen hatten allesamt starke Muskeln, kräftige Beine und feste Brüste. Ihre Augen waren ruhig und klar, und sie machten eine gefaßte, furchtlose Miene. Lyra hatte eine gute Vorauswahl getroffen. Für kurze Zeit konnte Inanna die Seuche vergessen; und auch die Last, Königin zu sein. Sie stellte sich die Armee vor, die sie aufbauen wollte. Diese hundertundzwanzig Frauen könnten den Kern der neuen Armee abgeben. In ihren Gedanken waren die Frauen dann in voller Montur und kämpften an ihrer Seite gegen Pulal.
    »Sucht Euch sechzig von ihnen aus«, rief Lyra und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Reihen der Frauen.
    »Ich nehme sie alle.« Inanna legte eine Hand auf Lyras Schulter. »Bring du ihnen das Kämpfen bei.«
    »Diese Worte habe ich mir schon lange gewünscht!« lachte Lyra. Am Ende des Monats des Ersten Regens waren von den ursprünglich hundertzwanzig noch siebenundneunzig Frauen übriggeblieben, aber diese waren vielversprechende neue Gefährtinnen.
     
    Die Lage verschlechterte sich zusehends.
    »Wer ist da?«
    »Die Königin?«
    Die kranke Frau lachte und fing übergangslos an zu weinen. Das Fieber verwirrte den Menschen die Köpfe. Diese Frau hier war Schmiedin. Man konnte das an den Muskelpaketen an ihren Armen sehen. Sie hatte Handgelenke wie Äste. Der kleine Raum war mit Schmiedewerkzeug übersät: eine Strohschwinge, ein Gefäß zum

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